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Interview: Heinz UthmannWirt – Unwirt – Parasit

■ Eimsbüttels SPD-Chef über geplante Maßnahmen gegen Bettler und Berber

taz: Ihr Parteikollege Innensenator Hartmuth Wrocklage will Obdachlose, Bettler und Junkies härter anfassen. Wird Ihnen bei der Lektüre dieser „Maßnahmen gegen die drohende Unwirtlichkeit der Städte“ mulmig?

Heinz Uthmann: Es löst Verbitterung aus. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß ein sozialdemokratischer Senator am Ende des 20. Jahrhunderts Thesen von sich gibt, die in die Gedankenwelt eines englischen Realisten der viktorianischen Zeit passen. Es ist der Versuch, eine saubere Stadt im Sinne eines auf Reinlichkeit bedachten Bürgertums zu schaffen und das Wegerecht zu reprivatisieren. Die Straßen gehören nicht mehr allen – das ist die Botschaft.

Bürger und Geschäftsleute wollen nicht von „Randständigen“ belästigt werden, meint der Senat. Haben diese Standpunkte keine Berechtigung?

In dem Papier werden Stereotypen gepflegt und kleinbürgerliche Hysterien politisch instrumentalisiert. Wo Bettelei tatsächlich aggressiv wird, reichen die geltenden Gesetze völlig aus. Alles andere ist ein Rückfall in die strafrechtliche Situation von vor 1969, also vor der sozialliberalen Koalition.

Sind die vorgeschlagenen Gesetzesverschärfungen als Neuauflage des „Landstreicherparagraphen“ zu verstehen?

Darauf läuft es hinaus. In dem Papier steht ausdrücklich, daß man gegen Randständige und Trebegänger vorgehen will. Und genau die waren auch die Opfer des früheren „Landstreicherparagraphen“. Dessen menschenfeindliche Tendenz war, daß ein konkreter Straftatbestand – außer so zu sein, wie man eben ist, nämlich störend – nicht vorliegen mußte. Solche Gesetze sind verfassungsrechtlich bedenklich und justizpolitisch totaler Quatsch.

Hat sich Innensenator Wrocklage damit endgültig ins rechte SPD-Lager verabschiedet?

Das Ganze ist eine Auftragsproduktion des Bürgermeisters. Vielen Passagen der Drucksache merkt man deutlich an, daß sachkundige Beamte sich zwischen den Zeilen distanziert haben.

In dem Papier wird eingeräumt, daß die Repressionen gegen „Randständige“ wenig bringen. Was ist denn dann die Absicht des Senats?

Da gibt es zwei Möglichkeiten: Bestimmte Beamte der Innenbehörde haben zuviel Zeit. Oder bestimmte Herrschaften suchen Themen für eine große Koalition.

Der Vorstoß der Innenbehörde ist kein Ausrutscher: Die SPD-Parteitagsbeschlüsse zum Sozialhilfemißbrauch und das neue Vorgehen in den U-Bahnen – der Hochbahn-Chef ist auch ein Genosse – marschieren in dieselbe Richtung. Eine Wende bei der Hamburger SPD?

Keine Wende, aber eine Verwirrung. Man ist sich in turbulenten Zeiten nicht darüber klar, wie man Konflikte auflösen soll. Soll man sie als solche anerkennen und die Urheber angreifen? Oder soll man zu Scheinlösungen greifen? Letzteres scheint im Augenblick Mode zu sein.

Mit welchen Folgen?

Die Tendenz des Papiers erkennt man an seinem Titel „Unwirtlichkeit der Städte“. Das ist eigentlich der Titel eines Buches von Alexander Mitscherlich. Hier wird mit dem literarischen Erbe eines großen Humanisten Mißbrauch betrieben. Es wird die Assoziationskette Wirt-Unwirt-Parasit ausgelöst. Das Thema ist ein Spalter-Thema: Es spaltet die Gesellschaft und es spaltet die Partei.

Fragen: Silke Mertins

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