Tanz auf dem Teufelsberg

Der geteilte Himmel: Am Teufelsberg tummeln sich halbstarke Drachenprofis mit ihren Showbiz-Einlagen und bescheidene Laiendrachenflieger  ■ Von Rolf Lautenschläger

Wenn über der Stadt bei klarer Sicht eine leichte Brise fegt, herrscht für Nico das beste Wetter. Denn Wind braucht er für seinen „Helikopter“, damit der so richtig am Himmel tanzen kann. Nicos Helikopter ist ein rechteckiges, rund zwei Meter langes und ein Meter breites Segeltuch, das sich rotgrün gefärbt über einen leichten Carbonrahmen spannt. Kommt Wind in die Bespannung und zieht Nico an einer der vier dünnen Leinen, beginnt der Drachen mit einer Kür: Einer Pirouette folgt ein Salto, der schnellen Drehung ein Trudeln. Wenn die Leinen verdreht sind, läßt Nico den Drachen sich „entwickeln“, um ihn ganz sanft auf der Erde zu landen.

Auf den Teufelsberg zieht es den Drachenvirtuosen fast jedes Wochenende im Herbst. „Hier oben bläst der beste Wind für den Steuerdrachen“, erklärt er. Wenn die Böen uneinheitlich kommen, sei es „besonders geil“, den Drachen im Wind sich drehen zu lassen. „Dann kann man mit dem Helikopter spielen. Ich kann den Drachen steigen, ihn vorwärts und rückwärts fliegen und ihn mit einfachen Zugbewegungen an den Griffen Figuren zeichnen lassen.“ Das habe mit dem traditionellen Drachensteigen nichts mehr gemein, so Nico. Das sei Drachensurfen in den Luftwellen. Und: „Das macht süchtig.“

Die Sucht kostet Nico, der wie viele auf den Teufelsberg kommt, um bunte Kastendrachen, silberne Rotorblätter oder schnittige Trapeze in den Wind zu hängen, 450 Mark. Der Steuerdrachen ist so teuer wegen der patentierten Form, des Carbonrahmens sowie der verästelten Aufhängung, ohne die die besonderen einmaligen Flugbewegungen nicht möglich wären. Mit zur Ausrüstung zählt ein Köcher, in dem der zusammengerollte Superdrachen transportiert wird, und Nicos Megasonnenbrille – ein enganliegendes Modell, in dem sich Himmel und Drachen spiegeln.

Keinen High-Tech-Drachen, sondern ein kleines rotes Kunststofftrapez „für ein paar Mark“ versucht Gerd in der Luft zu halten. Der Wind ist etwas zu schwach und kommt aus zu unterschiedlichen Richtungen, so daß der Drachen immer wieder runterfällt. Das macht dem Drachenfreak nichts aus. Zu hoch will er eh nicht hinaus. „Es sind heute zu viele Kinderwagen da. Wenn der unruhige Drachen abstürzt, könnte er die verletzen“, sagt er und grinst. Aber bei dem kleinen Trapez, würde es denn abstürzen, brächen höchstens die Holzlatten entzwei – nicht aber Schädelknochen.

Der Teufelsberg, seit langem Treffpunkt der halbstarken Drachenprofis mit ihren Showbiz-Einlagen und selbstgebauten Flugmaschinen, zieht an Herbsttagen aber noch andere an: Heerscharen von Kids mit Plastikdrachen für 30 Mark, Bürschchen, deren Freundinnen die Drachen beim Start halten müssen und die dann losschnauzen, wenn das Gerät nicht fliegt, Ehepaare, die sich an Jugendträumen laben, und Schaulustige, die den bunten Tanz am Himmel genießen. Was fehlt, sind einfache, eigens gebaute Papierdrachen mit einem langen Schwanz, die wie irr geworden hin und her jagen.

In Konkurrenz zu den Drachenfans haben sich seit ein paar Jahren die Paraglider etabliert. Als gelte es, sich von Alpengipfeln zu stürzen, haben sie sich mit grellen Sportschirmen, Helmen, Spezialanzügen, Sitzgurten inklusive Rettungsfallschirm und natürlich mit Gleitfliegergarn eingedeckt. Die Truppe um den Italiener Toni, der schon mal „fünf Stunden in der Luft war und nur wieder runterkam, weil ihn der Hunger packte“, demonstriert trotz der paar Meter Höhendifferenz ausgeprägte Fluglust. Fegt ein Lüftchen den Berg herauf und bläht den seidenen Schirm auf, dann rennen die Männer tollkühn auf den Abgrund zu, stemmen sich gegen den Wind, heben ab und landen – wenn nicht nach ein paar Metern auf dem Hintern – am Fuß des Teufelsbergs.

Unter den tausend Leinen, mit denen der Paraglider am Sitz und an den Steuerhanteln befestigt ist, sollten eigentlich nur ausgebildete Flieger abheben. Aber Toni läßt schon mal luftsüchtige junge Damen in den Paraglider einsteigen, bremst aber den Absturz an der Bergkante wieder ab und entfesselt sie aus dem Gurtgewirr. Der Tanz auf dem Teufelsberg ist – nicht wie am Blocksberg – scheinbar nur was für Männer.