Der Kampf um Liebe

■ Handlung, die ins Surreale gleitet: "Trans-Sibirisch oder Sehnsucht der Wölfe", eine Inszenierung nach Copi im STÜKKE-Theater, spielt mit gängigen Klischees

Russische Volksweisen, brausender Schneesturm und das Glokkengebimmel von Hundeschlitten lärmen durcheinander. Die klangliche Atmosphäre, mit der die Zuschauer empfangen werden, vermittelt ganz ausdrücklich sibirische Kälte und verschweigt zugleich auch nicht das Klischee, mit dem gespielt wird.

Das 1971 entstandene Stück des gebürtigen Argentiniers und Wahl-Parisers Copi hat denn auch mit Realismus nicht viel am Hut. Wie in meisten seiner ein Dutzend Dramen verschwimmen Identitäten, gleiten Handlungen ins Surreale und ist der Einfluß des Absurden Theaters von Eugène Ionesco und Francesco Arrabal spürbar.

Hierzulande wurden zwar in den achtziger Jahren ein Teil seiner grotesken Romane übersetzt. Seine Stücke bleiben weitgehend unbeachtet. Nur sein letztes, die Aids-Farce „Ungelegener Besuch“, 1987 posthum uraufgeführt, wurde unter anderem an der Studiobühne des Renaissance-Theaters (mit Volker Spengler und Rio Reiser) inszeniert.

Und nun haben also die Off- Theater-SchauspielerInnen und Actricen aus der Travestieszene Rita Scholl und Dee Novak „Trans-Sibirisch oder Sehnsucht der Wölfe“ für sich entdeckt und bearbeitet. Drei Figuren mit verändertem Geschlecht streiten sich um die Liebe und folglich auch um die Macht.

Madre lebt samt kunstvoll gefertigtem Busen als Frau, ohne sich durch eine Operation endgültig an das weibliche Geschlecht angleichen lassen zu haben.

Die letzten Schritte der Verwandlung

Irina, die sowohl Geliebte als auch Tochterersatz ist, hat in Marokko auch den letzten Schritt zur Verwandlung von Mann zur Frau vornehmen lassen. Ihre Klavierlehrerin Madame Garbo hingegen wurde als junger Mann gegen ihren Willen vom Vater von der Tochter zum Sohn gemacht. Madame Garbo ist hoffnungslos in die kleine Irina verliebt. Ein piepsiges Gör, das sich im aufreizenden Negligé zum Lustpüppchen degradiert. Der Kampf um ihre Gunst, ihre Zuneigung und sexuelles Begehren lassen Garbo und Madre zu Kontrahentinnen werden und treibt sie bis an den Rand der Selbstaufgabe.

Eine Dame der besseren Gesellschaft

Dee Novaks Madame Garbo, im schulterfreien, eleganten schwarzen Abendkleid, ist eine Dame der besseren Gesellschaft, die selbst in den emotional verquersten Situationen Etikette und Contenance bewahrt. Rita Scholls Madre (optisch eine Art Witwe Bolte), spielt den Schlag ins Ordinäre zotig und rotzig und das mit sichtlicher Begeisterung.

Ein Soundteppich aus Musikfetzen und Geräuschen soll die emotionale Spannung der Situation dramatisieren helfen, aber meist verdoppeln die akustischen und körperlichen Gesten nur das Gesagte und verstärken es nicht. Nur selten gelingt dieser Inszenierung die nötige Schärfe und Pointierung, um das Groteske in der Textvorlage vollkommen auszuschöpfen. Vielmehr Wert legten Dee Novak und Rita Scholl, die auch für die Regie verantwortlich zeichnen, auf das Psychodrama um sexuelles Begehren und Abhängigkeit.

Aber Copis „Trans-Sibirisch“ ist eben nicht Genets „Die Zofen“. Und so sehr es Novak und Scholl gelingen mag, ihren Figuren Kontur zu geben – solange das Objekt der Begierde, Dana Belling als kindlich-nymphomanische Irina, darstellerisch sichtbar überfordert ist und nicht mehr als eine schwache Ingrid-Steeger-Kopie abgibt, bleibt ihr Liebeskampf ohne wirkliches Zentrum. Das komplexe Beziehungsverhältnis zu vermitteln, innerhalb dessen sie mal Opfer, mal bösartige Intrigantin ist, gelingt ihr leider kaum. Axel Schock

Bis 4. November, Fr-–Mo., jeweils 20.30 Uhr, STÜKKE-Theater, Hasenheide 54