Impressionistischer Jammerlappen

■ Einfache Bühne: Premiere der russischen Post-Glasnost-Komödie „Der Brummkreisel“

Fast hätte Pavel die Verabredung mit Swjeta vergessen. „Nicht schlimm“, entschuldigt er seine Fahrigkeit, „du hättest ja schließlich auch nicht kommen können.“ Die eigenwillige Logik eines dialektischen Jongleurs, die sich im Laufe des Einakters Der Brummkreisel von dem russischen Dramatiker Ilja Tschlaki als programmatisch darstellt. Denn Pavel (Paul Dorn) liebt drei Frauen: Swjeta (Eva Klling), die Vertreterin des marxistischen Ideals eines allumfassend gebildeten Menschen und der unbedingten Nutzung aller Talente zum gesellschaftlichen Aufbau. Dann die sanfte Lena (Karin Nissen), deren unverwüstliche Schlichtheit sie als einzige zur bedingungslosen Liebe befähigt und deren bäuerliche Bodenständigkeit stellvertretend den vorrevolutionären russischen Traditionalismus grundiert. Und schließlich Ninotschka (Elisabeth Konnert), eine moderne Frau, deren selbstbewußte Zickigkeiten längst an westlichem Durchsetzungsgebärden geschult sind.

Mit spitzen Fingern und ebensolcher Stimme schreitet Swjeta durch Pavels Junggsellenzimmer (in dem das Publikum ebenfalls zu Gast ist), nicht ohne den trostlosen Anblick seiner Existenz mit eloquenter Erschütterung zu kommentieren: „So wie du darf man einfach nicht leben.“ Sein Studium soll er wieder aufnehmen, nach seinem gesellschaftlichen Nutzen fahnden, eine Ehe schließen. Auch Lena und Ninotschka suchen Pavel auf, um ihn zu endgültigen Verbindungen zu drängen. Der Begehrte windet sich feige, er lügt, betrügt, rechnet eine Liebe gegen die andere auf. Und bald erinnert Pavel an all jene impressionistischen Jammerlappen, wie wir sie von Arthur Schnitzler kennen.

Vermeintliche Dezisionisten, die grundsätzlich zu allem entschlossen sind, nur jetzt gerade noch nicht genau wissen wozu. Lebensflüchtige Egomanen, die jede Entscheidung in hamletsche Sinneskrisen stürzt, weil jede Zusage eine Absage an all die anderen Möglichkeiten mit sich bringt. Und so verspricht Pavel jeder schließlich die Ehe – ein vorläufig endgültiger Tauschhandel für den kurzfristigen Seelenfrieden.

High Noon derweil zwischen den Konkurrentinnen. Eisige Höflichkeit, unverhohlenes Intrigieren und irrtümliche Verschwesterungen wechseln sich ab und gipfeln schließlich in eine kollektive Abweisung des vollends irritierten Pavel. Doch dann klopft es wieder an seiner Tür und die Konfusion fügt sich zur unendlichen Schleife.

Was als scheinbar belanglose, aber von Jwegeni Mestetschkin sehr dynamisch inszenierte Komödie daherkommt, spiegelt bald überzeugend die ganze Misere der russischen Intellektuellen, denen Glasnost und Perestroika beim Spagat zwischen sozialistischen Idealen und westlicher Wirtschafts-euphorie keine wirkliche Hilfestellung zu geben vermochten.

Birgit Glombitza

Noch 6., 11.-13., 25. und 26. Oktober, 20 Uhr, Einfache Bühne