Antisemit, Kriegshetzer

Soll nach Reinhold Seeberg auch in Zukunft eine Straße im Grunewaldviertel benannt sein?  ■ Von Jürgen Karwelat

Eigentlich ist „Seebergsteig“ ja ein schöner Name. Man kann sich dabei einen lieblichen Berg und einen stillen See vorstellen. Doch die Unschuld des Nichtwissens ist den EinwohnerInnen des Seebergsteigs im gutbürgerlichen Grunewaldviertel inzwischen genommen. Schaut man sich die Person Seeberg und sein Wirken genauer an, kann man schnell erkennen, daß hier die Nationalsozialisten 1936 einen der Ihren geehrt haben – eine Namensgebung, die in einer demokratisch verfaßten Gesellschaft nichts zu suchen hat.

Am 5. 4. 1859 in Pörrafer/Livland geboren, stammte Seeberg aus einer deutschen Familie im Baltikum. Der Theologe war einer der Hauptvertreter der konservativ-positiven Richtung in der evangelischen Theologie. Innerhalb der Kirche hatte er zahlreiche Funktionen. Besonders vor und im Ersten Weltkrieg betätigte sich Seeberg auch politisch – durch Denkschriften, Vorträge und Aufrufe, die die deutsche Regierung in ihrer Kriegspolitik unterstützten und darüber hinaus die Annexion von Gebieten im Westen und Osten propagierten. Rassegedanken und Antisemitismus finden sich an vielen Stellen seiner Schriften.

In mindestens zwei Aufsätzen und seinem Ethik-Buch hat Seeberg sein Verhältnis zu Rasse und Volk oder der deutschen Gesellschaft zum Judentum besonders ausführlich dargelegt. Es ist zum einen der von der Treitschke-Stiftung veröffentlichte Vortrag „Christentum und Germanentum“ (Leipzig 1914) und der 1922 veröffentlichte Vortrag „Antisemitismus, Judentum und Kirche“ (Berlin 1922), den er vor dem Central- Ausschuß der (evangelischen) Inneren Mission gehalten hat. Hinzu kommt sein Buch „Christliche Ethik“, das in dritter Auflage nach seinem Tod 1936 erschien.

Als Grundeinschätzung für Deutschtum führt Seeberg aus: „Der Germane hat ein stolzes Gefühl seiner selbst, Achtung vor sich selbst, wie schon der stolze, aufrechte Gang, das offene, blaue Auge, der Langschädel äußerlich diesen Eindruck machen. So ist er zu allen Zeiten geblieben. Ein persönliches, eigenartiges Wesen, voll inneren Stolzes auf seine eigene Persönlichkeit ist er bereit, sie zu verfechten, wo er auch angegriffen wird...“

Die den Juden unterstellte Herrschsucht, die andere als Griff nach der Weltherrschaft bezeichnet haben, durchzieht Seebergs Vortrag „Antisemitismus, Judentum und Kirche“:

„Das heißt, das Judentum hat von Natur in sich den Trieb nach Macht und nach Geld, sofern dies das einfachste und immer wirksamste Mittel zu Macht ist. So kommt in das jüdische Wesen die merkwürdige Mischung von Beweglichkeit und Starrheit, von kalt berechnendem Verstand und jäh zufahrendem Fanatismus, von Härte und Empfindsamkeit, von Primitivität und Raffinement.“

Da nach der Ansicht von Seeberg „das Judentum“ sich nicht in das „Wirtsvolk“ integriert und immer der persönliche Vorteil gesucht wird, hat das „Judentum“ immer den Geist des jeweiligen Volkes bekämpft:

„Es ist in der Sachlage tief begründet, daß das Judentum die historische Überlieferung der Völker und ihr historisches Bewußtsein bekämpft.“

Die Gefährlichkeit „des Judentums“ kommt nach Seeberg unter anderem auch dadurch zum Ausdruck, daß „das Judentum“ sehr großen Einfluß auf die deutsche Presse und damit auf die Meinungsbildung hat. Seeberg vertrat nicht einen blindwütigen Antisemitismus, der die Juden als gefährliche Rasse charakterisierte. Er war ein Vertreter eines nicht minder gefährlichen „intellektuellen“ Antisemitismus, der den deutschen Juden eine „zersetzende“ Geisteshaltung unterstellte, die aus rationalen Selbstverteidigungsgründen bekämpft werden müßte. In der „Christlichen Ethik“ hat er kurz vor seinem Tod noch einmal Stellung bezogen:

„Die Judenfrage hat ein doppeltes Gesicht. Einmal ist es die stark ausgeprägte rassenhafte Anlage, die in vielfachem Gegensatz zu der deutschen Art steht. Dann aber ist es die besondere Prägung des jüdischen Geistes, die ein Produkt der Geschichte des Judentums ist. Beides zusammen hat zur Folge, daß die Juden sich nicht dem Volk, unter dem sie leben, wirklich einzugliedern vermögen. Das zeigt sich darin, daß die Juden gegenüber dem Gemeingeist des Volkes Vertreter des Individualismus oder des ihm entsprechenden Demokratismus sind.“

Bei der Verfolgung des „Judentums“ sollte man nach Seeberg nicht mit Rachsucht vorgehen, sondern gesetzestreu:

„Was die staatlichen Gesetze gebieten, soll ausgeführt werden, aber nicht in niederer Rachsucht, sondern im humanen Sinn unseres Volkes.“

Schon nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten geschrieben, stellte sich Seeberg damit eindeutig hinter die diskriminierenden Nazi-Gesetze, mit denen jüdische Bürger aus dem Staatsdienst entlassen und mit Berufsverbot aus der Gesellschaft gedrängt wurden. Bei seiner Beschäftigung mit Rasse als Grundlage der Gesellschaft blieb es nicht aus, daß Seeberg sich neben dem von ihm immer wieder beklagten Geburtenrückgang auch mit der „Reinhaltung der Rasse“ beschäftigt hat. In „Christliche Ethik“ schrieb er dazu:

„Da nämlich die normal und übernormal von der Natur ausgerüsteten Personen vielfach die Kindererzeugung zu verhindern oder doch sehr zu reduzieren trachten, dagegen die Minderwertigen und erblich Belasteten ohne Überlegung Kinder in die Welt setzen, die dann oft ebenfalls minderwertig sind, so eröffnet sich die Gefahr, daß die Qualität des Volkes nachgerade sinken wird. ... Zu diesem Zweck soll dann auch im Notfall die Sterilisierung oder künstliche Unfruchtbarmachung helfen. Sie soll nach genauer Erwägung der gesundheitlichen Verhältnisse der betreffenden Person und mit Einwilligung dieser, nach dem neuen Gesetz eventuell auch zwangsweise, vollzogen werden. Man wird dies Verfahren nicht als unsittlich bezeichnen können, denn es dient der Erhaltung des Volkes, und es bewahrt in ihrer Leidenschaft unzurechnungsfähige Menschen davor, Unheil zu stiften, indem sie Wesen hervorbringt, die ebenfalls sich selbst und anderen zum Unheil gereichen.“

Damit bekannte sich Seeberg eindeutig zu den Rassegesetzen der Nationalsozialisten und rechtfertigte auch die Tötung ungeborenen Lebens.

Neben seiner theologischen Lehrtätigkeit ist Seeberg vor allem durch seine politischen Aktivitäten vor und während des Ersten Weltkriegs in ganz Deutschland bekannt geworden. Man kann Seeberg als einen der fleißigsten Kriegsredner und -publizisten innerhalb der deutschen Professorenschaft bezeichnen. Dabei blieb er bis zum Schluß bei seinen außen- und innenpolitischen Zielvorstellungen: maximale Annexion von Land im Westen und Osten und Kampf gegen parlamentarisch-demokratische Entwicklungen im Inneren. Seine Theologie sollte den lückenlosen Nachweis dafür liefern, daß das deutsche Volk aufgrund seiner moralischen und geistigen Überlegenheit über andere Völker das historische Recht habe, sein Territorium aufgrund der schwächeren Nachbarvölker zu vergrößern und auch ein Kolonialreich aufzubauen.

Der Krieg selbst wurde als etwas Notwendiges und sittlich Reinigendes angesehen. In dieser Hinsicht sind auch seine Aufsätze „Das sittliche Recht des Krieges“ (1914), „Krieg und Kulturfortschritt“ (1915) und „Der Krieg und die allgemeine Menschenliebe“ (1915) niedergeschrieben. In „Krieg und Kulturfortschritt“ heißt es:

„Gewiß, es sterben viele, Leben wird zerstört. Aber es wird auch tiefes Leben des Geistes künftigen Generationen eröffnet. Wenn je aus Blut Lebenssaat hervorgeht, so wird aus dem Blute derer, die jetzt für das Vaterland sterben, Lebenssaat, Kulturleben emporsprießen. Wenn unsere deutsche Kultur sich frei entfalten, wenn sie ihren Ertrag und ihre Anregung für die ganze Welt ergießen kann – was ist das für ein positiver Erfolg!“

Auch 1933/34 griff Seeberg in die aktuelle Kirchenpolitik ein, indem er sich in einem Gutachten für die Thesen der nationalsozialistischen „Deutschen Christen“ aussprach, die die Anwendung des Arierparagraphen und den Rassegedanken in der evangelischen Kirche für verbindlich erklärten. Es gibt also genug Gründe, dem Wilmersdorfer Seebergsteig einen neuen Namen zu geben.