Der Schnauzbart vibrierte wild

Bei seinem ersten Einsatz als Co-Trainer verlor Heiner Brand, der künftige Coach der Handball-Nationalmannschaft, schnell die Contenance  ■ Aus Karlsruhe Frank Ketterer

Einen ersten Eindruck von seiner neuen Arbeit hat der Mann mit dem imposanten Schnauzbart nun also bekommen. Und weil er keiner ist, der vorschnelle Urteile abgibt, hielt sich der Mann, der ab Mai nächsten Jahres die deutsche Handball-Nationalmannschaft der Männer trainieren soll, mit seiner Meinung noch vornehm zurück. Ein paar individuelle Fehler seiner zukünftigen Untergebenen wollte Heiner Brand am Freitag abend in Karlsruhe beobachtet haben, insgesamt glaubte der 44jährige ein Spiel gesehen zu haben, „in dem es verschiedene Phasen gab“ – und in dem die deutschen Handball-Männer am Ende das Glück und vor allem Jan Holpert auf ihrer Seite hatten. 21:20 gewann die Auswahl des Deutschen Handball-Bundes (DHB) ihr erstes WM-Qualifikationsspiel gegen Polen, am Ende eigentlich nur deshalb, weil Torsteher Holpert den mit dem Schlußpfiff fällig gewordenen Siebenmeter ebenso wegputzte wie so manchen Wurf davor.

Heiner Brand hat nicht allzu viele Worte über dieses Spiel verloren. Zu denken wird es dem Handball-Weltmeister von 1978 dennoch gegeben haben. Die Tatsache nämlich, daß die Deutschen noch nicht einmal mehr gegen die international als zweitklassig geltenden Polen souverän gewinnen konnten (das gestrige Rückspiel in Polen hatte bei Redaktionsschluß noch nicht begonnen), ist kein besonders schöner Einstand als DGB-Trainer. Und wie sehr es in ihm gebrodelt haben muß, wurde vor allem in den letzten zehn Spielminuten offenbar, als es Brand, obwohl er sich fest vorgenommen hatte, die Ruhe zu bewahren, einfach nicht mehr auf der Bank hielt, auf der er vorerst noch als Co- Trainer von Arno Ehret sitzt. In solchen Situationen muß er einfach diesem unguten Gefühl Platz machen, das ihn überkommt, wenn auf dem Parkett der Bär tobt und nichts so läuft, wie es eigentlich laufen sollte. „Wenn das Spiel so auf der Kippe steht“, erinnerte sich Brand später an jenen Moment, in dem sein Schnauzbart vor Aufregung zu vibrieren schien, „dann gehen bei mir einfach die Nerven durch“.

Mehr als wahrscheinlich, daß Heiner Brand es in nächster Zeit des öfteren an den Nerven haben wird. Warum aber läßt sich einer auch ein auf einen Job, bei dem er eigentlich nur seinen guten Ruf verlieren kann? „Ich habe in meiner Trainertätigkeit immer die Herausforderung gesucht und schwierige Aufgaben angenommen“, sagt Brand, der als Spieler mit dem VfL Gummersbach sechsmal deutscher Meister, viermal DHB-Pokalsieger, je zweimal Europapokalsieger der Pokalsieger sowie der Landesmeister war und in seinen mittlerweile neun Jahren als Bundesligatrainer vier weitere Meisterschaften sowie einen DHB-Pokalsieg folgen ließ.

So gesehen hat sich Brand die passende Aufgabe ausgesucht. Richtig schwer und herausfordernd – und (wer kann das schon ausschließen?) vielleicht sogar unlösbar. In naher Zukunft nämlich schon wird er all die Fragen beantworten müssen, warum es mit dem deutschen Handball ums Verrecken nicht aufwärtsgehen will. So, wie das Arno Ehret, der Brand mehr als Partner-, denn als Co- Trainer bezeichnet wissen will, bis Mai aber die alleinige Verantwortung trägt, nach EM und vor allem nach Olympia tun mußte. Und wie er es auch am Freitag tat. „Es ist so, daß man in dieser Situation nicht sofort an Dinge anschließen kann“, sagte Ehret da in gewohnt ausgewähltem Duktus, „die schon als selbstverständlich galten.“

Wie sollte es auch, wo die deutschen Handballer doch wieder einmal quasi von null anfangen? Torwartdenkmal Andreas Thiel hat international seinen wohlverdienten Abschied genommen, Volker Zerbe, Jan Fegter und Klaus-Dieter Petersen wollen sich bis auf weiteres erst einmal ihrer beruflichen Karriere widmen, was ihnen keiner verdenken kann. Kay Rothenspieler (Ausbildung), Thomas Knorr (Achillessehnenprobleme) und Vigindas Petkevicius (fühlt sich nach seinem Daumenbruch noch nicht fit) sagten kurzfristig ab. Alternativen sind nicht leicht zu finden in einer Bundesliga, in der Ausländer dank des Bosman-Urteils mehr denn je das Spiel bestimmen und Verantwortung tragen. Da fällt es Nachwuchsmännern wie Thomas Schäfer, Markus Baur, Mark Dragunski und Nationalmannschaftsdebütant Sven Liesegang nicht leicht, zu beweisen, daß sie jene Streßfestigkeit und Professionalität mitbringen, die es braucht, um international auf höherem Niveau spielen zu können.

Und es braucht Geduld, bei denen, die schon länger dabei sind und jetzt doch wieder auf der Stelle treten. Bei Martin Schwalb beispielsweise, der, obwohl er sich nicht so bezeichnen lassen will, gegen Polen der Führungsspieler der neuen deutschen Mannschaft war. Spaß mache es mit den Jungs, jeder einzelne gebe sich sehr viel Mühe und letztendlich habe man nicht sonderlich viele Alternativen. „Das sind“, urteilte der Ur-Oldie über seine aktuellen Mannschaftskollegen, „jetzt hier die besten Spieler, die bereit sind, in der Nationalmannschaft zu spielen.“ Ob's für Höheres reicht muß die Zukunft zeigen. Und Heiner Brand.