Gas geben in der Warteschleife

EU-Chefs diskutieren Reformen. Die sind erst nach Abwahl des britischen Premiers möglich  ■ Aus Dublin Alois Berger

Der britische Premierminister John Major brachte das Problem wieder einmal auf den Punkt. Für ihn sei „die Erweiterung der Europäischen Union wichtiger als eine institutionelle Reform“, sagte er nach dem EU-Gipfel in Dublin. Er meinte damit, daß ihm eine größere und weitgehend handlungsunfähige EU gerade recht wäre. Doch in der EU geht niemand mehr davon aus, daß die angestrebte Reform mit der jetzigen britischen Regierung zu machen ist. Änderungen am Maastrichter Vertrag sind nur einstimmig möglich. Die 15 Staats- und Regierungschefs der EU einigten sich in Dublin, daß die wichtigsten Entscheidungen über die künftige Struktur der EU im Juni nächsten Jahres fallen sollen. Dann soll der Maastricht-II-Vertrag unterschrieben werden. Spätestens im Mai muß John Major in seinem Land neu wählen lassen.

Das Treffen in Dublin, bei dem sich die Staats- und Regierungschefs zum ersten Mal selbst mit konkreten Fragen der Reform auseinandersetzten, sollte die festgefahrene Regierungskonferenz wieder in Schwung bringen. Seit einem halben Jahr verhandeln hohe Regierungsvertreter aus allen Mitgliedsstaaten über Korrekturen am Maastrichter Vertrag. Dabei soll einerseits ein politischer Rahmen für die Währungsunion geschaffen und andererseits die Erweiterung der EU vorbereitet werden. Insgesamt 12 Länder, von Estland bis Zypern, wollen in die EU aufgenommen werden.

Doch bisher haben die Regierungsvertreter die meiste Zeit damit verbracht, die Wunschlisten zu vergleichen. Eine Regierung will den Tierschutz vertraglich stärken, eine andere die Rolle der Kirchen genauer definieren. Bei den wirklich wichtigen Fragen tauchte immer wieder das Problem auf, daß die britische Regierung schon im Ansatz dagegen war und vorsorglich ihr Veto ankündigte. Nach Schilderungen von Beamten, die dabei waren, sind die Regierungsvertreter inzwischen dazu übergegangen, die britischen Einsprüche zur Kenntnis zu nehmen, ohne darauf einzugehen: 14 Regierungen verhandeln und gehen davon aus, daß die 15. beim Abschluß nicht mehr dabeisein wird.

Diese Praxis soll nun offensichtlich verstärkt fortgeführt werden. „Es darf keine Denkverbote geben“, sagte Bundeskanzler Helmut Kohl. Nach seinen Angaben haben die EU-Chefs die irische Regierung beauftragt, die strittigsten Fragen auszuklammern und bis Dezember erste Textentwürfe für den Maastricht-II-Vertrag vorzulegen. Irland führt derzeit turnusgemäß den Vorsitz in der EU. Mit dem irischen Premierminister John Bruton teilt Helmut Kohl vor allem die Ansicht, daß die gemeinsame Innenpolitik verstärkt werden muß: „Die innere Sicherheit wird in einigen Jahren das Thema Nummer eins sein.“ Kohl möchte Europol zu einem europäischen FBI ausbauen, will das aber nicht mehr so nennen, weil, wie er sagt, allein das Wort in der Vergangenheit so heftige Reaktionen ausgelöst habe.

Staatsminister Werner Hoyer, der für Deutschland an der Regierungskonferenz teilnimmt, hat den Kanzler so verstanden, daß sich die Verhandler von jetzt an auf das Wesentliche konzentrieren sollen. Das sei vor allem der Ausbau der gemeinschaftlichen Innen- und Außenpolitik, die Vorbereitung der EU auf die Erweiterung und der Abbau des „Bürgerfrustes an der EU“. Gegen den Frust setzt Hoyer eine Aufwertung des Europaparlaments und mehr Transparenz bei den EU-Entscheidungen.

Im Kern geht es bei fast allen zentralen Punkten um eine Ausweitung des Mehrheitsprinzips. Schon heute, mit 15 Mitgliedsländern, ist die EU kaum noch entscheidungsfähig. Nur in Fragen des Binnenmarktes wird in der EU bisher mit Mehrheit entschieden. In allen anderen Bereichen, vor allem bei der gemeinsamen Innen- und Außenpolitik, gilt nach wie vor das Einstimmigkeitsprinzip. Viele EU- Vorhaben scheitern deshalb am Veto einer einzelnen Regierung, meistens der britischen.

Doch auch die meisten anderen EU-Regierungen sind längst nicht mehr so wild darauf, überall Mehrheitsentscheidungen einzuführen. Die britische Totalverweigerung macht es ihnen leicht, sich dahinter zu verstecken. Lediglich einige kleine Länder wie Belgien und Irland halten noch am Ziel eines föderalen Europa fest. Doch selbst die deutsche Regierung, vor fünf Jahren in Maastricht noch energische Verfechterin bundesstaatlicher Strukturen, fürchtet mittlerweile, in sensiblen Fragen überstimmt zu werden. Vor allem in der Innenpolitik sollen deshalb Mehrheitsentscheidungen nur in genau abgegrenzten Bereichen wie etwa der Visumspolitik oder der Drogenbekämpfung eingeführt werden.

Für die Außenpolitik dagegen basteln die Regierungsvertreter an einer Zwischenlösung zwischen Mehrheitsentscheidung und Einstimmigkeit. Kein einzelner Staat soll künftig eine außenpolitische Aktion blockieren können, wie das bisher vor allem in Bosnien laufend passierte. Gleichzeitig kann kein Land verpflichtet werden, bei solchen Aktionen mitzumachen. Dasselbe Prinzip der freiwilligen Teilnahme soll auch für Strukturveränderungen innerhalb der EU gelten, etwa bei der Aufwertung von Europol zu einem europäischen FBI.