Zwischen politischer Aktivität und spiritueller Potenz

■ Die Päpste haben es seit frühen Zeiten auf geniale Weise verstanden, in den Auseinandersetzungen mit den weltlichen Mächten ihren Einfluß geltend zu machen

Wie viele Legionen denn der Papst habe, soll Napoleon gefragt haben? Es waren gerade mal drei oder vier, und so marschierte der Franzose in Italien ein, überrollte den Kirchenstaat und glaubte, damit sei seine These von der Machtausübung ausschließlich durch das Bajonett eindrücklich bestätigt.

Weit gefehlt. Ein Blick in die Geschichte hätte ihn lehren können, daß die Päpste zwar nur selten über mehr als nur mittelmäßige militärische Macht verfügten, ihr Machtpotential aber bis heute nicht dauerhaft zu brechen war. Ausgeübt haben sie ihre Macht mit einer oft geradezu genialen Austarierung zwischen politischer Aktivität und spirtueller Potenz – je nachdem wie die Zeitläufte gerade waren. Nahm ihr politischer Einfluß international ab, traten sie um so massiver mit doktrinärer Potenz auf. Spielten sie auf diplomatischem Parkett eine große Rolle, fuhren sie ideologisch eher auf Sparflamme.

Wie viele Legionen hat denn der Papst?

Den ersten ganz großen Kampf mit der weltlichen Macht im Mittelalter konnten sie militärisch nicht gewinnen. Daher zog ihn Papst Gregor VII. gegen Heinrich IV. ideologisch durch – Folge war der sogenannte Investiturstreit: Der Papst zwang den deutschen Kaiser zum berühmten Gang nach Canossa. Die Auseinandersetzung mit den Staufern zwei Jahrhunderte später – mit dem Ziel einer entscheidenden Schwächung des Kaisertums – wickelte Rom jedoch vor allem politisch-militärisch ab: durch die Unterstützung der italienischen Stadtstaaten gegen die Zentralgewalt.

Im letzten Jahrhundert kam es politisch zum bisher wichtigsten Schlag gegen die weltliche Macht des Papstes: Die italienischen Einigungstruppen zogen 1870 in Rom ein, der Kirchenstaat wurde aufgelöst, der Papst war „nur“ noch geistliches Oberhaupt der Katholiken mit Sitz in Rom. Noch im selben Jahr ließ sich Pius IX. angesichts der drohenden Vernichtung des Kirchenstaats vom ersten Vatikanischen Konzil die nachhaltigste jemals erreichte spirituelle Macht übertragen, die je ein geistliches Oberhaupt erhalten hatte: nicht nur die Unfehlbarkeit bei allen „ex cathedra“ formulierten Glaubenssätzen, sondern auch den noch viel weitreichenderen „Jurisdiktionsprimat“. Das heißt, was der Papst als „Wahrheit“ verkündet, ist für alle Katholiken verbindlich – und das in einer Weise, daß wer einen dieser Sätze nicht anerkennt, sich automatisch außerhalb dieser Kirche stellt. Bis heute ist dieses Dogma der größte Hemmschuh für eine Erneuerung der katholischen Kirche von innen heraus.

Vorzustellen hat man sich die Auswirkungen wie folgt: Während etwa ein Deutscher, der bestimmte Gesetze seines Landes nicht anerkennt, immer noch Deutscher bleibt, wird zum Nichtkatholiken, wer Glaubenssätze des Papstes nicht anerkennt.

Raffinierte Schaukelpolitik zu eigenen Gunsten

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs hatte der Vatikan diplomatische Beziehungen zu nicht einmal einem Dutzend Staaten, die die Auflösung des Kirchenstaats nicht anerkannt hatten. Doch während dieses Krieges und unmittelbar danach gelang es Benedikt XV. in Ermangelung eines Konsenses der Großmächte über die neue Weltordnung seine Diplomatie wieder ins Spiel zu bringen.

Mitte der dreißiger Jahre hatte er bereits die Anerkennung von zwei Dutzend Staaten – und war inzwischen wieder zum „richtigen“ weltlichen Staatschef geworden. Mussolini hatte, um die Katholiken an den Faschismus zu binden, den Kirchenstaat auf einem Miniterritorium von 0,44 Quadratkilometer restauriert.

Das dann unter dem päpstlichen Nuntius Eugenio Pacelli, dem späteren Papst Pius XII., abgeschlossene „Reichskonkordat“ mit Hitlers Deutschland stellte den Vatikan endgültig wieder voll aufs Podest der „souveränen Staaten“. Seine „Legionen“ hatte der Papst damit zwar nicht wieder, außer einer buntgekleideten Schweizergarde von gerade mal gut 300 Jünglingen. Aber den internationalen Einfluß haben sich die Päpste in einer raffinierten Schaukelpolitik zwischen Autoritarismus, Liberalismus und wieder Autoritarismus – personifiziert sukzessive durch Pius XII., Johannes XXIII. und Johannes Paul II. – in immer stärkerem Maße zurückgeholt.