Papst Johannes Paul II. (76) soll morgen am Blinddarm operiert werden. Gerüchte, wonach sein Leiden ein weitaus schlimmeres ist, wollen indes nicht verstummen. Zwar versuchen die Sprecher des Vatikan, die Krankheit herunterzuspielen. Aber das Rennen um die Nachfolge ist zumindest offiziös eröffnet. Aus Rom Werner Raith

„Papabili“ ante portas

Hat er, oder hat er nicht? Doch, doch, er hat, behauptet L'Espresso. Nein, nein, hat er sicher noch nicht – der doch nicht, schütteln all jene den Kopf, die ihn besonders gut zu kennen meinen.

Die Frage ist, ob Karol Wojtyla angesichts seiner schweren Krankheit bereits den Brief mit seinem Rücktritt unterzeichnet hat. Und es geht, natürlich, mehr noch darum, wer ihn dann nach einem fast zwei Jahrzehnte währenden Pontifikat beerben soll. Das Problem ist insofern verzwickt, als niemand einen Papst zur Demission zwingen kann. Und es gibt auch niemanden, der über einen eventuell von ihm erklärten Rücktritt befinden kann. Seit am Ende des 13. Jahrhunderts die „Regeln“ für eventuelle Demissionen festgelegt wurden, gilt: Der Rücktretende ist nur Gott verantwortlich, sonst niemandem. Anlaß war damals die Flucht eines der Vorgänger Wojtylas, Cölestin V., dem nach nur hundert Tagen Amtszeit die Intrigenwirtschaft in Rom zuwider geworden war.

Johannes Paul II. hat indes vor einigen Jahren einen Zusatzartikel ins Procedere eingefügt: Ein Papstrücktritt gilt nur, wenn die Erklärung „freiwillig“ ist – also zum Beispiel nicht unter politischem Zwang erfolgt. Und sie muß zudem „entsprechend erklärt“ sein. Doch wie, wenn ein Papst von einer Krankheit befallen wird, bei der der freie Wille eingeschränkt ist?

Genau darum geht es nun bei Karol Wojtyla selbst. Er leidet an einer bereits fortschreitenden Schüttellähmung, der sogenannten Parkinsonschen Krankheit. Zwar herrscht Streit darüber, ob die Nervenzersetzung auch das Gehirn beeinträchtigt, doch allein schon die Abgabe der geforderten „entsprechenden Erklärung“ könnte eines Tages unmöglich werden; eines Tages kann der Patient nicht mehr schreiben und oft auch nicht mehr verständlich reden.

Die Gerüchte um einen bereits hinterlegten Rücktrittsbrief, der bei eindeutiger Erklärungsunfähigkeit herausgezogen werden soll, fanden Nahrung, als der Sprecher des Papstes, Joaquim Navarro, selbst Arzt, Anfang September von der „Möglichkeit einer zerebralen Erkrankung“ gesprochen hatte. Zwar versuchten die aufgeschreckten Kurialen die Sache sofort zu einer harmlosen „chronischen Blinddarmreizung“ mit notwendiger Operation herunterzureden. Aber das Rennen um die Nachfolge Wojtylas war zumindest offiziös eröffnet.

Tagtäglich spitzt seither die Prälatengemeinde die Ohren, was Radio Vatikan und die Kirchenzeitungen Osservatore Romano und L'Avvenire über einzelne Kardinäle schreiben – ganz gleich in welchem Zusammenhang. Der deutsche Kardinal Ratzinger zum Beispiel, Wojtylas Hauptratgeber, wird zwar täglich höchst lobend erwähnt, aber immer mit dem Zusatz, er sei doch recht krank. Übersetzt: Er hat keine Chance. Ähnliches wird über einen bislang hochgehandelten Kandidaten aus Schwarzafrika berichtet: Bernardin Gantin. Wo immer das Wort „Krankheit“ auftaucht, wird der Kandidat von der Liste gestrichen.

Maximal 120 Kardinäle haben das Wahlrecht im Konklave. Das hat Johannes Paul II. festgelegt: Nur wer unter 80 ist, darf mitstimmen. Das wären derzeit nur insgesamt 112 von 155 lebenden Purpurträgern. Davon ist etwa ein Viertel Italiener.

Da für die Wahl zwei Drittel aller Wahlberechtigten plus eine Stimme erforderlich sind, haben die Italiener keine Sperrminorität mehr wie früher. Dennoch stellt das Land noch immer die Hauptzahl der „papabili“, jener Männer, die fürs Amt in Frage kommen. Ganz vorn, sozusagen „links“, der Kardinal von Mailand, Carlo Maria Martini, ein Jesuit, dem alle, die auf eine Modernisierung der katholischen Kirche insbesondere in Fragen der Sexualmoral und der Sozialethik setzen, die Daumen halten. Umgekehrt sehen die Erzkonservativen in Martinis Kollegen aus Bologna, Giacomo Biffi, ihren Paladin; er ist in manchen Positionen noch reaktionärer als Karol Wojtyla. Ausweichkandidaten für den fortschrittlichen Flügel wären Kardinal Silvano Piovanelli aus Florenz oder Marco Cé aus Venedig, für die Konservativen Camillo Ruini, derzeit Vorsitzender der italienischen Bischofskonferenz.

Doch wahrscheinlich wird es ohnehin nichts mit einem Italiener. Die Mehrheit der Auguren erwartet einen Oberhirten, der diesmal nicht einmal mehr aus Europa kommen muß, eventuell gar zum erstenmal einen mit dunkler oder gar schwarzer Hautfarbe. Zwar gelten die Kardinäle Miroslav Vlk aus Prag und Jean-Marie Lustiger aus Paris durchaus als „papabili“. Aber wesentlich mehr Chancen werden schon heute von der fortschrittlichen Seite dem Kardinal Paolo Evaristo Arns aus São Paolo und von der konservativen dem Oberhirten von San Salvador da Bahia, Lucas Moreira, eingeräumt, ersatzweise dem Kolumbianer Alfonso Lopez Trujillo.

Und dann sind da noch die Afrikaner. Genannt werden etwa der Kardinal von Douala in Kamerun, Christian Wiygan Tumi, und aus Nigeria Francis Arinze, derzeit Vorsitzender der Kongregation für den Dialog mit anderen Religionen; er wird angesichts des sich abzeichnenden Vormarsches des islamischen Fundamentalismus besonders hoch gehandelt.

Abseits dieser politischen Konstellationen gibt es auch noch eine Reihe von „Usancen“. So galt es lange Zeit als ausgemacht, daß man jeweils nach einem langen Pontifikat einen eher ältlichen Herrn wählt, der die Weichen für ein neues Kapitel Papstgeschichte stellt, das dann wiederum von einem jüngeren Amtsinhaber durchgeführt wird. Doch ob sich die Kirchenfürsten, vor allem die aus den nichteuropäischen Ländern, noch an die alten Zöpfe der romzentrierten Kirche halten werden, ist ungewiß. Nicht einmal mehr die Verlagerung der Papstresidenz im Falle der Wahl eines afrikanischen Oberhirten wird ausgeschlossen. Auf die Katholiken kommen beim nächsten Pontifikat, so scheint es, höchst turbulente Zeiten zu – gleichgültig ob sich diese reaktionär oder fortschrittlich darstellen.