Sechs Millionen Flügel im Wattenmeer

■ Rasten, Fressen, Federnwechseln: Der Herbst ist die vogelreichste Zeit im Watt

Alle Vögel sind schon da: Zur Zeit etwa drei Millionen im schleswig-holsteinischen Wattenmeer. Das zumindest schätzen Experten. Anfang Oktober hat mit dem frühen Herbst die vogelreichste Zeit des Jahres im Nationalpark begonnen.

Zur Rekordzahl tragen drei Gruppen von Vögeln bei: Schwärme, die ihren Zug gen Süden mehrere Wochen lang unterbrechen, um die Schwungfedern zu wechseln, treffen auf Arten, die die nahrungsreichen Flächen vor der Küste als „Tankstelle“ nur kurz auf der kräftezehrenden Tour in die Überwinterungsgebiete nutzen. Dazu kommen die Vögel, die das ganze Jahr über im Wattenmeer ansässig sind, wie Austernfischer und Brandgänse.

Zur ersten Gruppe gehören Knutts, Alpenstrandläufer und andere Watvögel, die unmittelbar nach der Brut in arktischen Gefilden ab Juli ins Wattenmeer zurücckehren. Hier wechseln sie binnen zwei bis drei Monaten alle zehn Federn ihrer Handschwingen. Weil die Flugfähigkeit der Vögel in dieser Zeit beeinträchtigt ist, bietet der störungsarme und nahrungsreiche Lebensraum vor der Küste einen idealen Rückzugsort. Anfang Oktober sind dann die ersten Vögel bereit für den Zug nach Großbritannien, an die Atlantikküste und nach Westafrika.

Als Futter- und Rastplatz nutzen im Herbst die Ringel- und Nonnengänse, Pfeif-, Spieß- und Krickenten das Wattenmeer. „Die kommen über die Nordsee und überqueren Schleswig-Holstein etwa auf der Linie Eckernförde-Husum“, weiß Klaus Günther vom Projektbüro Wattenmeer der Umweltorganisation WWF. Er beobachtete kürzlich vom Dachfenster seines Husumer Büros aus einen Schwarm von 4500 Ringelgänsen.

Der Biologe schätzt, daß insgesamt bis zu 100.000 Gänse im schleswig-holsteinischen Nationalpark Station machen. Die Zahl der Knutts und Alpenstrandläufer beziffert er auf je eine halbe Million. Genaue Zahlen kann Günther nicht nennen, weil die Vogelzählungen des sogenannten Rastvogel-Monitorings noch andauern. Dieses Programm zur Dauerbeobachtung läuft grenzüberschreitend im gesamten Wattenmeer von Holland bis Dänemark und soll einen umfassenden Überblick über die Entwicklung der Bestände ermöglichen. Im Wattenmeer kommen etwa 160 verschiedene Vogelarten vor, schätzen Experten.

Heike Wells