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: Neue Zeiten: Tauwetterkunst im Haus der russischen Kultur

Leicht hatten es die KünstlerInnen in der alten Sowjetunion nicht: Anpassen an die Vorgaben des sozialistischen Realismus, hieß die Devise, oder Durchschlagen als Kellner, Putzfrau oder Kartenabreißer. Jetzt zeigt das Haus der russischen Kultur Werke von zwölf Künstlerinnen aus dieser Zeit. Ihre Arbeiten verbindet die Auseinandersetzung mit dem Phänomen „Zeit“, die Zusammenstellung ist entsprechend bunt: von der expressionistischen Serie „Antlitz“ des Wladimir Naumez, die sich mit den Momenten des Sterbens Jesu Christi auseinandersetzt, über die „fotoarchäologischen“ Arbeiten Eduard Gorochowskijs bis zu den kühl-abstrakten Bildkonstruktionen Eugenia Gortchakowas.

Die Moskauerin, die mit jedem Pinselstrich in der immer gleichen Struktur ihrer Bilder „die Zeit regelrecht einfangen“ möchte, lebt und arbeitet heute in Oldenburg. Nach dem Linguistik- und Kunstgeschichtsstudium begann sie zu malen. Dreimal versucht sie Anfang der achtziger Jahre in den staatlichen Verband für Bildende Künste aufgenommen zu werden, dreimal werden ihre Arbeiten abgelehnt: „zu abstrakt“, die Begründung. Ein ähnliches Schicksal erfuhr auch Sergej Wolochow, der ebenfalls mit einigen Arbeiten in der Ausstellung vertreten ist. Er wurde zwar an einer staatlichen Akademie aufgenommen, seine Werke durften jedoch nicht öffentlich gezeigt werden; sie wanderten ausnahmslos von der Staffelei direkt ins Archiv. Wolochow blieb daraufhin nur der mühselige Broterwerb als Nachtwächter.

Der Erfolg kam für viele erst mit dem Tauwetter der Gorbatschow-Ära und der Gelegenheit, Kontakte ins Ausland zu knüpfen. In Rußland arbeiten möchte Eugenia Gortchakowa jedoch im Augenblick nicht. Abstrakte Kunst sei zwar heute nicht mehr verfemt, doch sei die öffentliche Akzeptanz immer noch sehr gering: „In ganz Rußland gibt es kein Museum für zeitgenössische Malerei“, sagt sie, ohne Informationen und Hintergründe sei abstrakte Kunst jedoch für Außenstehende oft nicht erfahrbar und bleibe somit isoliert.

Diejenigen, die den Sprung von der subversiven Kellergalerie auf den internationalen Kunstmarkt gemeistert haben, stoßen im Westen auf reges Interesse. Für Museen und Sammler gehört es heute fast schon zum guten Ton, einen „alternativen Russen“ im Haus zu haben. Über diesen Erfolg sind die Künstler selbst am meisten erstaunt. Kein Wunder: Viele der heute zwischen Vierzig- und Siebzigjährigen waren über lange Zeit an einen anderen Ablauf von Vernissagen gewohnt. Anstelle von Kunsthistorikern und Galeristen wurden Ausstellungseröffnungen oft von Polizisten oder Bulldozern vorgenommen. Thomas Wiede

Bis 31.10., Di.–Fr. 14–19, Sa./So. 12–18 Uhr, Friedrichstr. 176–179