Bücherbus wird ausgebremst

Auch die fahrenden Bibliotheken sind beim Sparen nicht ausgenommen. Tempelhof hat zwar einen neuen Bus, aber das Angebot wird dünner  ■ Von Axel Schock

Einmal die Woche, für drei Stunden, hat auch die Siedlung „Daheim“ in Buckow eine Bücherei. Sie ist zwölf Meter lang und hat vier Räder. Etwa 5.000 Bücher (aus einem Gesamtbestand von ca. 21.000) passen in die Regale im Innern des modernen Bibliotheksbusses und sind vor allem den Bedürfnissen der Besucher entsprechend ausgewählt.

Denn der typische Benutzer, erzählt Michael Bach, ist entweder im Kindergarten- und Grundschulalter, erziehende Mutter oder aber in Rente. Gefragt sind daher vor allem Kinder- und Jugendliteratur und Romane. „Eine Fahrbibliothek kann eine Standortbibliothek nicht ersetzen“, sagt der 52jährige Bibliothekar. „Wer beispielsweise Fachliteratur sucht, kann sich bei uns diese zwar bestellen, aber die meisten fahren dann doch lieber in die großen Hauptstellen“. Seit den siebziger Jahren ist Michael Bach Bibliothekar in Berlin. Zu Beginn seiner Laufbahn leitete er schon einmal einen Bibliotheksbus, im Bezirk Reinickendorf. Das Märkische Viertel war gerade erschlossen, an eine Bücherei hatte man dort jedoch nicht gedacht. Bis Mitte der achtziger Jahre, bis zur Eröffnung des Fontane-Hauses, waren die Bewohner der Trabantenstadt auf das Lesefutter des Busses angewiesen. Kaum war die Bibliothek eröffnet, ließ der Zustrom auf die Fahrbücherei nach und wurde an diesem Ort nicht mehr gebraucht.

In Tempelhof herrschen derzeit allerdings andere Zeiten. Die fahrende Bibliothek wird eigentlich an immer mehr Stellen des Bezirkes benötigt. In diesem Jahr schloß eine Zweigstelle in der Lichtenrader Bahnhofsstraße, zwei weitere Zweigstellen in Mariendorf sollen zum Jahresende aus Spargründen dichtgemacht werden. Der Bus soll den Bedarf auffangen, aber der ist bereits jeden Tag unterwegs. Das heißt für Michael Bach: „Wir werden drei andere Anfahrpunkte dafür streichen müssen.“ Diese Entscheidung, das gibt er unverhohlen zu, wird ihm mehr als schwerfallen. Ausschlaggebend sei letztlich die Zahl der ausgeliehenen Bücher und Medien, nicht, was sozial notwendig sei. Der Begriff der „Sozialen Bibliotheksarbeit“, der einige Jahre lang als hehrer Anspruch die internen Diskussionen der Bibliotheksverwaltungen beherrschte, ist aus der Mode gekommen. „Da habe ich nun vor einigen Monaten erst diesen alten Frauen 20 Mark für ihren Bibliotheksausweis abgenommen und muß ihnen im November verkünden: Sorry, aber wir werden leider nicht mehr wiederkommen. An diesem Tag werde ich nicht in den Spiegel gucken können.“

Für viele, vor allem ältere Mitbürger ist dieser Bus nicht nur eine Bücherei, sondern eine außerordentlich wichtige, lebensstützende Einrichtung. Oft sind sie bereits zu gebrechlich und immobil, um längere Fahrstrecken zur nächstgelegenen Stadtbücherei zu bewerkstelligen. „In solchen Momenten ärgert es mich um so mehr, daß es die öffentlichen Bibliotheken seit ihrem Bestehen nicht geschafft haben, ein Bibliotheksgesetz zu schaffen“, sagt Michael Bach. Bislang nämlich gehört die Unterhaltung von Bibliotheken immer noch zu den „freiwilligen Aufgaben“ der Kommunen und Gemeinden, und ihre Finanzierung kann daher willkürlich gekürzt oder gar ganz gestrichen werden.

Auf die Büchereien kommen harte Zeiten zu, für die Bibliotheksbusse ganz besonders. Zwar hat sich Tempelhof 1995 erst einen schönen, nagelneuen Bus geleistet, der sogar ein eingebautes Funktelefon besitzt. Aber benutzt werden darf es nicht: zu teuer. Und Rückfragen mit der Hauptstelle wären bisweilen ein notwendiger Service für die Benutzer und hilfreich für den Bibliothekar. Auch der Anschaffungsetat ist weiter geschrumpft, und eine Anordnung sieht vor, daß künftig keine Romane und schöne Literatur mehr angeschafft werden dürfen. Michael Bach erzählt das mit einem verständnislosen Entsetzen. „Viele Benutzer denken, die neu eingeführte Jahresgebühr von 20 bzw. 10 Mark würde für Neuanschaffungen verwendet. Wahrscheinlich würden die meisten von ihnen im Kreis springen, wenn sie wüßten, daß das Geld einfach im allgemeinen großen Topf verschwindet. Seit dem 1. Oktober muß der – säumige – Leser zudem tiefer in die Tasche greifen, wenn er seine Bücher, Zeitschriften oder CDs nicht fristgerecht zurückbringt. Pro Tag und ausgeliehenes Buch sollen dann 50 Pfennig fällig werden.

Die Bezirksverwaltung Tempelhof überlegte gar ernsthaft, den fast neuen Bus kurzerhand zu verkaufen und zu Barem zu machen. Andere Verwaltungen in den alten Bundesländern haben ihre ausrangierten Busse bereits an Gemeinden in den neuen Ländern verscherbelt. Bei einem Treffen der Berlin-Brandenburgischen Fahrbibliotheken in Neuruppin bekam Michael Bach die Busse zu Gesicht: „Ein Zustand teilweise jenseits von Gut und Böse.“ Er selbst schreibt nun an einer Geschichte der Fahrbibliotheken – und hofft, daß die elf Berliner Busse nicht selbst bald Geschichte sind.