Zerreißprobe für Türkeis Regierung

■ Massive Kritik an Ministerpräsident Erbakan nach dem Eklat beim Libyenbesuch – ein Riß geht durch die Koalition

Istanbul (taz) – Nach dem Staatsbesuch des türkischen Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan in Libyen geht ein Riß durch die konservativ-islamistische Regierungskoalition. Außenministerin Tansu Çiller von der Partei des rechten Weges brandmarkte die Worte Muammar el-Gaddafis während der gemeinsamen Pressekonferenz mit Erbakan als „katastrophalen historischen Fehler“. Gaddafi habe „der Türkei gezeigt, wer ihre Freunde und wer ihre Feinde sind“. Çiller hatte bereits im Vorfeld der Reise angemerkt, daß es nicht die rechte Zeit für einen Staatsbesuch sei.

Der Mißmut in der Fraktion der Partei des rechten Weges, die nur durch den persönlichen Einsatz Çillers in die Koalition mit den Islamisten einwilligte, ist groß. Innenminister Mehmet Agar, ein Parteifreund Çillers, hatte im Vorfeld der Reise die eigentlich notwendige Unterschrift für einen offiziellen Staatsbesuch verweigert.

Erbakan war am Sonntag von dem libyschen „Revolutionsführer“ Gaddafi mit harscher Kritik empfangen worden. Gaddafi hatte die Beziehungen der Türkei zu den USA und Israel und die Kurdenpolitik des türkischen Staates gegeißelt. Gaddafi rühmte den „Freiheitskampf der kurdischen Nation“ gegen das türkische Joch und verglich es mit dem Unabhängigkeitskampf der Araber gegen die Türken. Die ohnehin umstrittene Reise Erbakans nach Libyen endete mit einem Fiasko.

„Die Nacht der Scham“ titelt die gestrige Ausgabe des Massenblatts Sabah (Der Morgen) über das Treffen Gaddafis mit Erbakan. Die große Tageszeitung Hürriyet (Die Freiheit) schlagzeilt: „Die Nation wird Rechenschaft darüber verlangen.“ In den Kolumnen wird die Ministerpräsidentschaft Erbakans als „untragbar“ in Frage gestellt.

Erbakan selbst hatte große Erwartungen an den Besuch des „islamischen Bruderlandes“ Libyen formuliert. Die abfällige Behandlung, die ihm in Libyen widerfuhr, gab im nachhinein den Kritikern der Reise recht. Auch in der islamistischen Presse herrscht Enttäuschung und Wut auf den libyschen Führer. „Gaddafi spinnt“, merkte Staatsminister Abdullah Gül, der auch Mitglied der offiziellen türkischen Delegation ist, nach den Worten Gaddafis auf der Pressekonferenz an. Gül, Mitglied der islamistischen Wohlfahrtspartei, ist ein enger Vertrauter Erbakans. Erbakan versucht dagegen, die Vorfälle herunterzuspielen. Er bilanzierte die Libyenreise unter Verweis auf das doch noch zustandegekommene Handelsabkommen als „Erfolg“.

Nach der Libyenreise fordern Oppositionspolitiker den Rücktritt Erbakans. Mesut Yilmaz von der Mutterlandspartei richtete scharfe Worte gegen Erbakan. Erbakan verdiene die Behandlung, die ihm in Libyen widerfahren sei. „Der Grund dafür, daß ein terroristischer Diktator dem türkischen Staat Ratschläge erteilt, liegt in der Sorglosigkeit des türkischen Ministerpräsidenten.“ Das Ansehen des türkischen Staates sei mit Füßen getreten worden, erklärte der Vorsitzende der sozialdemokratischen Republikanischen Volkspartei, Deniz Baykal.

So wird Erbakan, der von Libyen aus nach Nigeria reiste, bei seiner Rückkehr einen schweren Stand haben. In den vergangenen Wochen hatten die allmächtigen Militärs mehrfach Warnungen an die Adresse Erbakans formuliert. Das Fiasko der Libyenreise wird diesen Kräften, die ohnehin die Ministerpräsidentschaft Erbakans nicht verdauen können, Auftrieb geben. Ömer Erzeren

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