Auferstehung und Ruinen

Bahn-Regionalisierung: In Brandenburg weitere Stillegungen, in Baden und Württemberg werden Bahnstrecken reaktiviert  ■ Aus Schorndorf Michael Schwager

Die Brandenburger PDS bezeichnet es als einen Skandal: Seit 1993 wurden laut ihren Angaben im Land Brandenburg 136 Bahnhöfe geschlossen, um die Reisezeiten auf den betroffenen Strecken um gerade mal ein bis zwei Minuten zu verkürzen. Rund 370 Kilometer Bahn sind in diesem Bundesland so defizitär, daß die Landesregierung „Handlungsbedarf“ sieht – das heißt im schlimmsten Fall Stillegung. Die Schließung von Bahnhöfen ist auf Nebenstrecken meist der erste Schritt zum Aus.

Seit der Wiedervereinigung verschwinden in den neuen Bundesländern mit jedem Fahrplanwechsel still und leise wieder ein paar Nebenbahnen von der Landkarte oder werden auf Busbetrieb umgestellt. Allein seit 1994 wurde in Brandenburg der Personenverkehr auf 339 Kilometern eingestellt. Derzeit stehen wieder ein gutes Dutzend Bahnstrecken zur Disposition. Der Grund: Die dem Land zustehenden Bundeszuschüsse für die Regionalisierung – in diesem Jahr 537 Millionen Mark – reichen nicht für große Investitionen in marode Bahngleise. Und das Geld aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz geht fast vollständig für die S-Bahn-Verbindungen nach Berlin drauf. Insgesamt setzt das Landesverkehrsministerium darauf, die lukrativeren und stärker genutzten Städteverbindungen zu verbessern und dafür den öffentlichen Verkehr in der Provinz auszudünnen.

Brandenburg hat wie die meisten Bundesländer mit der Deutschen Bahn AG (DB) einen bis Mai 1997 befristeten Verkehrsvertrag abgeschlossen, um das Zugangebot auf dem Niveau von 1995 zu sichern. Derzeit werden Ausbauzustand und Verkehrsaufkommen der Regionalverkehrsstrecken im Land geprüft. Vom Ergebnis hängt ab, ob für kurze Nebenbahnen wie Müncheberg–Buckow oder Basdorf–Liebenwalde bei der DB wieder Personenverkehr bestellt wird. Da der Monopolist DB AG jedoch nach Überzeugung von Verkehrsexperten für seine Leistung einen zu hohen Preis fordert und es keine private Konkurrenz gibt, droht in der Prignitz rund um Pritzwalk sogar ein ganzes Bahnnetz zu verschwinden. Wenn nicht bestellt wird, dann wird auch nicht gefahren. So einfach ist die Stilllegung durch die Bahnreform geworden. Dabei war dieser Effekt von den Machern der Bahnreform eigentlich nicht gewollt. Im Gegenteil: Durch die Verlagerung der Verantwortung für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) auf die Länder erhoffte man sich einen gezielteren Einsatz der Finanzmittel, durch mehr Markt eine Attraktivierung des Regionalverkehrs.

Daß mit dem richtigen Verkehrskonzept auch kurze Nebenbahnen überlebensfähig sind, zeigt sich im Südwesten der Republik. In Rheinland-Pfalz und Baden- Württemberg werden dank des Engagements von Land und Kommunen sogar jahrelang stillgelegte Bahnstrecken reaktiviert. Jüngste Beispiele in Baden-Württemberg sind am Bodensee die Strecke von Radolfzell nach Stockach und im Großraum Stuttgart die Schönbuchbahn von Böblingen nach Dettenhausen, die nach einigen Verzögerungen ab 1. Dezember wieder in Betrieb geht. Täglich 30mal pendeln dann die nagelneuen Regio-Shuttles der privaten Württembergischen Eisenbahn Gesellschaft (WEG) im Stundentakt bzw. halbstündlich über die 17 Kilometer lange Nebenbahn.

Das hätte sich vor dreißig Jahren wohl niemand träumen lassen, als der Personenverkehr auf der Schönbuchbahn eingestellt wurde. Die Argumente waren dieselben wie heute in den neuen Bundesländern: Die Strecke sei nicht mehr rentabel, der Omnibusverkehr sei günstiger und bequemer. Daß die Gleise nicht schon längst herausgerissen wurden, ist einzig den noch bis in die neunziger Jahre rollenden Güterzügen zu verdanken. Ein von den Landkreisen Böblingen und Tübingen gegründeter Zweckverband übernahm 1993 die Anlagen der Schönbuchbahn für eine Mark von der DB. Ein regionales Verkehrskonzept wurde erstellt, und da die WEG ein günstiges Angebot vorlegte, wurde diese mit der künftigen Betriebsführung beauftragt. Insgesamt investierte man rund 20 Millionen Mark in die Streckenmodernisierung. Neue Haltepunkte wurden eingerichtet, um den Zugang zur Bahn zu verbessern und moderne Dieselleichttriebwagen beschafft, die das Land zur Hälfte mitfinanzierte.

Dasselbe Modell hat sich bereits seit Januar 1995 bei der Wieslauftalbahn von Schorndorf nach Rudersberg bewährt. Auch diese Strecke stand auf der Abschußliste der Bundesbahn, bis sie ein kommunaler Zweckverband übernahm und die billiger arbeitende WEG mit dem Betrieb beauftragte. Auch hier wurden von Land und Kommunen rund 20 Millionen Mark investiert. Womit niemand gerechnet hatte: Durch den Taktverkehr mit modernen Triebwagen haben sich die Fahrgastzahlen auf der bislang unrentablen Nebenbahn innerhalb kürzester Zeit verdreifacht.

Zwar wird der SPNV auch im Wieslauftal ein Zuschußgeschäft bleiben, den Zweckverband freut es dennoch: Durch den großen Zuspruch zum „Wiesel“ fährt der von Kommunen, Landkreis und Städten gegründete Zweckverband nur ein Defizit von 614.000 Mark ein. Kalkuliert war hingegen mit einem 270.000 Mark höheren Subventionsbedarf.