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■ Mit den Europagerichts-Tricks auf du und duBürgerInnen als Hebel

Freiburg (taz) – Die EU-Mitgliedsstaaten sind undiszipliniert. Statt die gemeinsam beschlossenen Richtlinien zügig umzusetzen, schützen sie technische und rechtliche Schwierigkeiten vor und sind mit dem Binnenmarktprogramm ganz gehörig im Rückstand.

Deutschland etwa hatte von 1.267 zum Jahreswechsel wirksamen EU-Richtlinien immerhin 90 noch nicht oder nicht richtig in nationales Recht umgesetzt. Unter den alten EU- Mitgliedern liegt Deutschland damit an viertletzter Stelle. In allen Fällen hat die EU-Kommission deshalb Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. So wurde auch die erst verspätete und dann allzu rigide deutsche Umsetzung der Umweltinformations- Richtlinie kritisiert.

Eigentlich können EU-Mitgliedstaaten auch direkt wirksames EU-Recht durch Verordnungen erlassen. Darauf verzichten sie jedoch in der Regel, um die Anpassung des Gemeinschaftsrechts an die unterschiedlichen Rechtsordnungen der einzelnen Staaten zu erleichtern. In Brüssel beschließen deshalb die MinisterInnen der 15 Staaten meist Richtlinien, die binnen einer bestimmten Frist (etwa ein bis zwei Jahre) in nationale Gesetze umgesetzt werden müssen.

Um die schleppende Umsetzung der Richtlinien zu beschleunigen, hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) in den letzten 25 Jahren einige Tricks ausgedacht. Als Hebel gegen säumige Mitgliedsstaaten benutzen die Luxemburger Richter (je einer pro Land, bisher nur Männer) dabei vor allem die EU-BürgerInnen.

Bereits Anfang der 70er Jahre „entdeckte“ der EuGH, daß nicht umgesetzte Richtlinien auch eine „direkte Wirkung“ haben können. Das heißt: Immer wenn eine Richtlinie für einzelne BürgerInnen konkrete günstige Wirkungen hat (wie im Verbraucher- oder Umweltschutz) können sich diese gegenüber ihren eigenen Behörden auch dann auf die Richtlinie berufen, wenn der eigene Staat sie nicht rechtzeitig in nationales Recht umgesetzt hat.

1991 verstärkte der EuGH diese „direkte Wirkung“. Jetzt sollen die BürgerInnen von ihrem säumigen Mitgliedsstaat sogar Schadenersatz verlangen können, wenn ihnen wegen der Nichtumsetzung einer Richtlinie Kosten oder sonstige Unbill entstanden sind (Francovich- Urteil). Der erste große Fall dieser Art war das gestern entschiedene Pauschalreise-Verfahren (siehe nebenstehenden Text).

Anfang dieses Jahres ging der EuGH noch weiter: Auch bei schlechter Umsetzung einer Richtlinie kann Schadenersatz fällig werden. Allerdings muß der Fehler dann „offenkundig und erheblich“ sein. Christian Rath

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