Zu laut triumphiert

■ Eine Kleinigkeit, die Werner Stumpfe vergaß

Bleich, aber gefaßt trat Werner Stumpfe, Chef des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, am Dienstag abend vor die Kamera. Allein, allein, einsam wie ein Stein, so fühlte sich der Arme. Ganz ohne Beistand hatten er und Daimler-Benz ihren mutigen Kampf zur Verkürzung des Lohnausgleichs im Krankheitsfall mit der zähnefletschenden IG Metall austragen müssen. Warum nur hat die Regierung ein Gesetz durchgeboxt, wenn sie anschließend denen in den Rücken fällt, die es getreulich durchsetzen wollen?

Ja, warum nur? An schlechten Absichten hat es Kohl bestimmt nicht gefehlt. Aber Schritt für Schritt sollte die böse Tat ausgeführt werden, mit Kompromißgirlanden versehen, in knirschender Eintracht der Tarifpartner. Es war der triumphalistische, hohe Ton, den Stumpfe und die Seinen anstimmten, das „Jetzt geht's erst richtig los“, das die Unternommenen bis aufs Blut provozierte. Nach den weißglut-wütenden, keineswegs auf Daimler beschränkten gewerkschaftlichen Aktionen war es ratsam, den Rückzug anzutreten.

Beim Arbeitskampf geht es nicht nur um rationale Kalküle. Der Vorgang ist symbolisch hoch besetzt. Fühlt sich die Arbeitnehmerseite beleidigt, in ihrer Würde (ja, die gibt es tatsächlich!) verletzt, so erwachen Solidarität und Kampfbereitschaft zu neuem Leben. Die Barden, die dem kollektiven flächendeckenden Tarifvertrag schon ein höhnisches „Ruhe in Frieden“ nachgerufen hatten, haben eine Kleinigkeit vergessen: die kollektiven Vorstellungen von Gerechtigkeit, die die „Arbeitswelt“ durchziehen. Diese Vorstellungen mögen diffus sein und in Aktionen schwer zu konkretisieren – aber sie existieren.

Dem Daimler-Riesen wurde ein Schlag versetzt, die Szenerie ist jäh in ein neues Licht getaucht. Das ist die einzige, wenngleich wichtige Parallele zum Fall Greenpeace contra Shell. Damals gelang, wegen des geringen Einsatzes, fast mühelos die „Übersetzung“ des Protests in Massenaktionen. Anschließend allgemeiner Beifall und schichtenübergreifendes Hochgefühl. So einfach wird es nicht werden, wenn die Lohnfortzahlung, wenn die Kürzung von Weihnachts- und Urlaubsgeld zur Verhandlung anstehen. Aber den mühelosen Durchmarsch von Betrieb zu Betrieb – es wird ihn nicht geben. Christian Semler