Deutscher Paß und „Nationalität Ungar“

■ Der seit einundfünfzig Jahren in Berlin lebende Sandor H. soll nach Ungarn ausreisen, um richtig Deutscher zu werden

Sandor H. ist zweiundfünfzig Jahre alt. Er ist in Deutschland geboren und lebt seit einundfünfzig Jahren in Berlin. Er hat in Berlin geheiratet und wurde hier Vater. Er sieht aus wie ein Deutscher und spricht nur Deutsch. Sandor H., dessen Eltern ebenfalls Deutsche waren, hat auch einen deutschen Paß.

In diesem aber steht: „Nationalität Ungar“. In Ungarn war H. nie, und Ungarisch spricht er auch nicht. H. will Deutscher sein. Nach Auskunft der Pressestelle der Innenverwaltung „gibt es so was nicht. Das kann kein deutscher Paß sein, höchstens ein deutsches Dokument, das aussieht wie ein Paß.“

Viel Glück hatte Sandor H. in seinem Leben nicht. Ein Jahr nach der Geburt von Sandor zog die Familie nach Berlin. Der Vater, ein gebürtiger Ungar, und die russische Mutter wurden 1947 eingebürgert. Für Sandor und seinen um ein Jahr älteren Bruder stellten die Eltern aus unerfindlichen Gründen keinen solchen Einbürgerungsantrag.

Ein Fehler mit Folgen. Denn als die Mutter für den damals achtjährigen Sandor endlich einen Antrag stellt, wird dieser abgelehnt. Begründung: Der wegen der Scheidung der Eltern zu diesem Zeitpunkt bereits vier Jahre im Heim lebende Sandor sei „schwererziehbar“. Nach einer Odyssee durch sieben verschiedene Heime wurde Sandor H. mit 13 erstmals straffällig. Wegen Diebstahl bekam er eine halbjährige Jugendstrafe. Dem folgten zwei weitere Jahre Jugendstrafe wegen Diebstahls von Eiern und Kuchen aus einem Lebensmittelautomaten. Danach folgten langjährige Haftstrafen wegen versuchten Einbruchs und Autodiebstahls. 1971 wurde zum zweitenmal vergeblich versucht, H. zu einem „richtigen“ Deutschen zu machen. Seine damalige Bewährungshelferin stellte einen Einbürgerungsantrag.

Er wurde ebenfalls abgelehnt. Begründung diesmal: „wegen laufenden Ausweisungsbeschlusses“. 1966 hatte der Inhaftierte in seine U-Haft-Zelle eine Ausweiseaufforderung der Ausländerbehörde erhalten. Sie wurde allerdings nie vollzogen.

Seit seiner letzten Haftentlassung 1979 ist er straffrei geblieben. Nach einer dreijährigen Sozialtherapie machte er den Haupt- und Realschulabschluß nach, und anschließend absolvierte er eine Maurerausbildung. Er gibt nicht auf. „Letztes Jahr habe ich meinen dritten Einbürgerungsantrag gestellt“, erklärt der kämpferische Mann.

Einziger Erfolg: Vergangene Woche bewilligte die Behörde H. eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland bis zum 30. November 1997. Zufrieden ist Sandor H. damit nicht. „Wie soll man Arbeit und eine Wohnung bekommen, wenn man immer nur befristete Aufenthaltsgenehmigungen bekommt?“ fragt der zweiundfünfzigjährige Mann.

Denn zugleich verlangt die Ausländerbehörde eine Arbeitserlaubnis des Arbeitsamtes. Wenn er diese bekommt, wird sie, wie sein Paß, nur ein Jahr gültig sein. „Zu kurz, um neue Arbeit zu finden. Und eine Wohnung.“ Zum 30. September nämlich wurde H. seine Hauswartstelle mitsamt der Dienstwohnung ohne Angabe von Gründen gekündigt.

Vergangene Woche hat ihm die Ausländerbehörde erneut vorgeschlagen, freiwillig auszureisen und Ungar zu werden. „Sie sagten, ich soll richtiger Ungar werden, und dann die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. Aber davor habe ich Angst. Ich fürchte, daß sie mich dann nicht wieder hineinlassen.“

Denn das Ausländergesetz erlaubt der Behörde, sogar längst verjährte Straftaten bei einem Einbürgerungsverfahren zu berücksichtigen. Tim Köhler