Wo Steffi noch heilig ist

Nicht nur mit dem alljährlichen Tennisturnier der Frauen, auch mit dem restlichen Sport geht es in der „Boomtown“ Leipzig langsam aufwärts  ■ Aus Leipzig Jörg Winterfeldt

Die Leipziger Turnierplaner meinten es großzügig mit Stefanie Graf in der letzten Woche. Schon nach ihrem Auftaktspiel bescherten sie ihr einen freien Tag. Da spazierte Graf durch die Messestadt und durfte feststellen, „daß die Leute ruhiger geworden sind“. Beinahe unbehelligt ließ man die Sportlerin flanieren, lediglich „in einem Schuhladen gab es einen kurzen Auflauf“, dem sie sich schleunigst durch Flucht entzog. „Traumhafte Gebäude in der Stadt“ sind Graf auf ihrem ungestörten Erkundungstrip aufgefallen und einige „Ecken, wo noch gebaut wird“.

Das rege Restaurations- und Modernisierungsschaffen kann die mit einer knappen halben Million Einwohner zweitgrößte Metropole der ehemaligen DDR nicht verbergen: Kaum einmal ließ sich dieselbe Route vom Hotel zum alten Messelände, wo die Tennis-Damen ihr Grand-Prix-Turnier seit 1990 austragen, an zwei Tagen hintereinander fahren – über immer andere Umleitungen schien die Stadtverwaltung den Tennistouristen täglich neue Einblicke in die Leipziger Architektur gewähren zu wollen. In einem Vergleich der Lebensverhältnisse in den 20 größten Oststädten, den der Spiegel in seiner jüngsten Ausgabe veröffentlicht hat, liegt Leipzig in der Spitzengruppe – für das Nachrichtenmagazin Anlaß, am nächsten Montag die „Boomtown“ ausführlich zu porträtieren. Die Studie, angefertigt vom Leipziger Institut für Marktforschung, weist zudem zwei besonders frappierende Werte für die Analytikerheimatstadt aus: den schlechtesten aller Probanden im Bereich der Kriminalität, den zweitbesten hinter Dresden in der Kategorie Sport/Freizeit/Kultur.

Leipzigs Aufwärtstrend illustriert auch die allmähliche Renaissance des Spitzensports: Die Kicker des VfB, vor 93 Jahren erster deutscher Fußballmeister, wollen am Saisonende schuldenfrei und in drei Jahren wieder erstligaqualifiziert dastehen. Nach dem Notverkauf des Torjägers Rische nach Kaiserslautern im letzten Winter, als noch vier Millionen Mark Miese den Klub plagten, künden der Vorstandswechsel im Frühjahr und die seither verstärkte Unterstützung durch die örtliche Wirtschaft von besseren Zeiten. Auch der Volleyballbundesligist SC Leipzig, gepeinigt von 100.000 Mark Schulden – was viel ist im Pritschsport, wo sich nur wenig Geld einnehmen läßt –, vermeldet seit dem Wochenende Hoffnungen, die Konkursgeier vertreiben zu können: 120 spendable Gönner haben je 300 Mark Überlebenshilfe zugesagt.

Bei den Handballerinnen des VfB reden die Optimisten unterdessen gar vom Titel, was Trainer Maik Nowak „alles Quatsch“ findet. Bestätigt sieht er sich durch die deftige erste Saisonniederlage in der letzten Woche in Dortmund (18:29). Wirtschaftlich allerdings reüssiert die Abteilung, entschädigte sie doch die mitgereisten Fans kurzerhand mit der Übernahme der Benzinkosten für die Enttäuschung.

Beim sportlichen Kräftemessen kann zuweilen Leipzigs Standortvorteil zum Wettbewerbsnachteil geraten: Hier verkündet der VFB- Fußballmanager Klaus Dietze augenzwinkernd Berechnungen, daß sein Erstligaehrgeiz eine berechtigte Legitimation daraus ziehe, daß sich in der Eliteklasse bis Rostock im Norden 320 Kilometer, bis München im Süden sogar 360 Kilometer unbestelltes Eliteklassen-Niemandsland erstreckten, das es für seinen Klub zu füllen gelte. Dort hingegen leiden seine Handball-Damen unter eben jenen Infrastrukturvorgaben: Zehn Stunden Busfahrt haben sie neulich für den Trip nach Dortmund benötigt; in Jena um die Ecke ging der unsägliche Stau schon los, der ihr Erscheinen erst gestattete, als zwischen Ankunft und Anpfiff nur noch wenige Minuten verblieben.

Das sportliche Prosperieren Leipzigs vermögen auch die Tennismanager zu erkennen. Das Zuschauerinteresse am Damen- Grand-Prix-Turnier ist gestiegen, das Sponsorenaufkommen ebenfalls. Drei Viertel des Etats soll in den Anfängen allein der Hauptsponsor beigesteuert haben. Bei gestiegenen Eintrittseinnahmen leisten die kommerziellen Geldgeber heute nur noch knapp die Hälfte des Turnierbudgets in Höhe von 3,5 Millionen Mark. Optimistisch avisiert Turnierdirektor Ivan Radosevic eine Verdoppelung des Preisgeldes für 1998.

Weil seine Wünsche das Prestige der Stadt weiter forcieren würden, erhält Radosevic komfortable Rückendeckung aus der lokalen Presse. Das führende Blatt, die Leipziger Volkszeitung, spart böse Wahrheiten fleißig aus. Da lobt man die Spielerin schwärmerisch, daß sie angeblich „offener mit Leuten, mit Journalisten“ umgeht, und porträtiert den Tennismanager Radosevic als Heroen für seine Turnier-Urheberschaft, ohne nur einen Nebensatz zu verschwenden an dessen mysteriöses Verhältnis zum Graf-Vater Peter. Für den soll der Geschäftsmann einst 800.000 Mark Erpressungsgelder überbracht haben, und auch beim Erwerb der Leipziger Turnierlizenz von Veranstaltern aus Mahwah, USA, soll Papa Graf hinter Radosevic nach Spiegel-Vermutungen mitgewirkt haben. Der Turnierchef, der für seine 60 Prozent der Lizenz 1,5 Millionen Mark berappt haben will, bestreitet das, ebenso wie Antrittsgeldzahlungen in Höhe von 250.000 Mark an Steffi Graf.

Solche Zahlungen würden deren Heiligenschein in Leipzig gewaltig mindern. Ihr erstes Preisgeld in Höhe von 45.000 Mark hatte sie 1990, zu Tränen gerührt, generös dem Sächsischen Tennis- Verband für den Aufbau eines Leipziger Tennisstützpunktes gestiftet, was ungleich weniger honorig wäre, hätte sie heimlich mehr als das Fünffache illegal für ihr Erscheinen kassiert. Über das Nachwuchsprojekt redet Steffi Graf inzwischen nur sehr widerwillig: Kleinlaut muß sie dann gestehen, daß mit dem Geld „wegen verschiedener Hindernisse bislang nicht viel passiert“ ist.