Eine Idee zu tief für eine Dame

Prêt-à-porter: Gespräch im Hause Dior – Galliano kommt, Gianfranco Ferré geht  ■ Von Anja Seeliger

Jetzt ist es also raus: John Galliano, 36, wird tatsächlich von Givenchy zu Dior wechseln. Seinen Job bei Givenchy soll Alexander McQueen, 27, übernehmen. Beide Couture-Häuser gehören dem Luxuskonzern LVMH (Louis Vuitton Moet Hennessy). Dieser will seine Neueinstellungen offiziell am 15. Oktober bekanntgeben, aber Suzy Menkes hat in der International Herald Tribune dem Ereignis leicht vorgegriffen. Mrs. Menkes irrt sich nie, und somit ist die Sache offiziell.

Die amerikanischen Einkäufer reagieren auf das Bäumchen- wechsle-Dich von LVMH mit professioneller Verzweiflung: „Wenn sie eine Strategie haben, dann soll mir die bitte mal jemand erklären“, sagte der Präsident eines großen amerikanischen Bekleidungshauses der Herald Tribune. „Warum sollten wir glauben, daß Galliano Dior erneuern wird, wenn sie das ganze letzte Jahr damit verbracht haben, uns zu erzählen, daß er das mit Givenchy tun wird? Was für ein Image ist das?“

Währenddessen gab Gianfranco Ferré im Caroussel du Louvre seine Abschiedsvorstellung von Dior. Tribut zollte er dabei sich selbst: „Ich habe noch einmal die Höhepunkte meiner achtjährigen Arbeit für Dior zusammengefaßt“, erklärte er in Women's Wear Daily. Und wenn diese letzte vielleicht auch nicht seine größte Kollektion war – sie zeigte doch deutlich, woran Galliano sich messen muß.

Ferré hat dem Dior-Stil eine zickenhaft-arrogante Note gegeben, die allein deshalb schon hinreißend wirkt, weil sie vom Aussterben bedroht ist. Dies bot er zum Schluß: schmale Röcke und Hosen mit kurzen Jacken, die nach unten hin sehr weit werden, so daß sie beim Gehen hin- und herschwingen. Ecrufarbene Nadelstreifenanzüge mit schmalen Hosen und geraden Jacken, darunter Herrenwesten, die vorn aus festem Material wie Baumwolle, Samt oder Leder waren, am Rücken jedoch aus durchsichtigem Chiffon. Schmale knielange Kleider aus feinem Leder oder mit Nadelstreifen – sehr seriös, wenn nicht der Ausschnitt eine Idee zu tief für eine Dame wäre und genau über dem Busen ein kleiner dreieckiger Kragen säße, der aussieht, als würde er pieksen, wenn man in seine Nähe kommt. Dazu trugen die Models Handschuhe, rauchten Zigarre und schwenkten enorm teure Handtäschchen. Und dann die Safarikleider! Elfenbein- und sandfarben glänzende Kleider und Kostüme, die „Robustheit“ wie ein Perlenkettchen tragen: In die großen aufgesetzten Taschen könnte man nicht einmal einen Bleistift stecken – die Wirkung des wie eine Korsage gearbeiteten Oberteils wäre sofort hin. Der Rock von bequemer Weite, doch – auch die Watussis haben ein Anrecht auf Eleganz, mit einem Leopardenmustersatin gefüttert. Wenn die Kerle nach zehntägiger Safari endlich den Löwen im Visier haben, klirrt diese Dame mit den Eiswürfeln für die Cocktails. Ferré hatte den Schneid, seinen Nachfolger Galliano willkommen zu heißen, indem er einige Empirekleider, die der Brite in seiner Haute-Couture- Schau lanciert hatte, in seine Kollektion aufnahm. Als Ferré am Ende über den Laufsteg schritt, erhob sich das Publikum höflich zu einer Standing ovation. Nur Suzy Menkes blieb sitzen.

Dries van Noten bat in eine alte Fabrikhalle. Der Fußboden war mit Sand bestreut. Seine Karawane ist inzwischen vom Orient nach Nordafrika gewandert. Die Kleider und Röcke, die über den Hosen getragen werden, waren diesmal meist aus Seide oder Chiffon. Keine Beschreibung könnte seiner Vielzahl von Mustern gerecht werden, manche sahen aus wie arabische Tätowierungen. Die Farben waren nicht so leuchtend wie beim letzten Mal, es sah mehr so aus, als wäre eine Handvoll Erde oder Sand mit untergemischt worden. Die Wüste träumt.