Das bist Du!

■ Literaturhaus: Lesung zu Ernst Jünger

Rappelvoll war der Saal des Literaturhauses am Donnerstag bei der Lesung mit Anmerkungen über Ernst Jünger, zu der das Hamburger Institut für Sozialforschung geladen hatte. Der Medienrummel um den umstrittenen Schriftsteller hatte offensichtlich sein Ziel erreicht: kurzfristig Interesse zu wecken.

Die Lesenden waren klug genug, nicht in den gegenwärtigen Klagegesang um die Gesinnung des Autors einzufallen. Statt sich in der Breite zu verlieren, gingen sie in die Tiefe und lieferten gezielte Analysen der Kaukasischen Aufzeichnungen von Ernst Jünger.

Der Gesellschaftswissenschaftler Jan Philipp Reemtsma erkannte im Ausspruch Jüngers „Das bist Du!“ Bewegung und Selbstreflexi-on. In seinen Aufzeichnungen an der Ostfront habe er sich von früheren Äußerungen distanziert, etwa wenn er sagt, ihn ergreife ein „Ekel vor den Uniformen, die ich sonst so geliebt habe“. Andererseits stellte Reemtsma heraus, daß Jünger „von künftiger Herrlichkeit faselt“, als er seine Ideale zugrunde gehen sieht. Sein „neuer Mensch“ sei ein Krieger, der aus Angst zum Mörder wird. Jünger sei im Grunde kein Soldat, sondern ein „archaischer Krieger, ein Leichenfledderer“, der im Schützengraben von Panik erfaßt wird und nach vorne stürmt. Jedoch: An dem Punkt, an dem Jünger nur noch Beobachter ist, wird er fähig, zivile Gedanken und Gefühle zu entwickeln, obwohl er den Drang zum Töten in sich notierte.

Ähnlich zweispältig sahen auch die anderen beiden Referenten den Autor. Der Literaturwissenschaftler Helmut Lethen konstatierte: „Der Kaukasus wird zum Desaster seines Wahrnehmungsapparates“. Jüngers Sprache versage, obwohl er doch ein Goya des Krieges sein wollte. Er begab sich in den Abgrund der „unsublimierten Tötungs- und Sexualgier“, um die „Mächte der Finsternis“ mit der Schärfe der Wahrnehmung zu verbinden. Ein Unternehmen, das mißlang.

Der Historiker Hannes Heer kritisierte Jünger als selbsternannten „Arzt, der die Wunden anschaut“, ohne heilen zu wollen.

Gabriele Wittmann