Massivität und Weichheit

Experimentierfreudig, mit Energie geladen, vom Witz gezwickt: Die Galerie Bodo Niemann präsentiert eine sehenswerte Auswahl von Arbeiten des Fotografen Josef Breitenbach  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Josef Breitenbach ist kein household name in der Fotografie, aber die Retrospektive zu seinem hundertsten Geburtstag hat ein beachtliches Werk zutage gefördert. Galerist Bodo Niemann zeigt Beispiele aus zwei Werkschienen, Porträts und Akte. So gibt es zwei gekonnte bleiche Close-ups von Helene Weigel, die eigenartigerweise in zwei verschiedenen Räumen der Galerie gezeigt werden, und ein stilles Porträt eines recht hochmütigen – aber eben auch sehr schlau wirkenden – Mannes, der schmaler und weniger klischiert aussieht, als wir ihn aus anderen Abbildungen kennen: Bert Brecht.

Das Bild, in Paris gemacht, bezeichnet die erste Station des Exilanten Breitenbach, der später in den USA wohnte und von 1956 bis 67 viel Zeit in Korea und Japan verbracht hat. Nach München, wo er mit Energie geladen und von Witz gezwickt begonnen hatte, kehrte er nicht zurück: Das Porträt, das der spätere Leibfotograf Hitlers, Heinrich Hoffmann, früh von Breitenbach gemacht hat, erinnert an die Rolle der Verfolger.

Die stärkste Gruppe in der Ausstellung bei Niemann stellen die Aufnahmen, die Breitenbach in einem Nudistencamp in New Jersey machte, um 1950. Die abgebildeten Körper haben eine bemerkenswerte Massivität und Weichheit zugleich. Ihre Bewegung, teils in geringen Unschärfen sichtbar gemacht, ist alltäglich, und das Ambiente hat das warme und differenzierte Licht einer wilden Landschaft. Und dennoch ist das, was FKK-Urlauber Breitenbach betrieb, keine FKK-Fotografie (mit ihren affigen Aktivitäten), sondern eine gezielte erotische Lichtbildnerei. Das ist erstaunlich und schwer zu erklären – jedenfalls gibt es in der Fotografie dafür keinen Vergleich.

Ein enigmatisches Hochformat zeigt ein nacktes Kind von vielleicht vier Jahren an der Hand der ebenfalls nackten Mutter; auf der anderen Seite der Vater: mit Anzug, Hut und Koffer. Alle drei sind von hinten zu sehen, wie sie einen Weg entlanggehen. Die Situation ist offensichtlich: Der Vater kommt im Nudistencamp an (oder reist ab). Verblüffend ist, daß alle drei Figuren gleich archaisch wirken, obwohl sie grafisch genau gegensätzlich gezeigt sind: Mutter und Kind als materielle Körper, der Vater als Schattenriß mit Stummfilmdüsternis.

Der Intellektuelle und die moderne Frau

Das Motiv des bekleideten Mannes in Gegenwart der nackten Frau hat allerdings einen Vorläufer in den bizarren Stereoaufnahmen zweier Figuren, die offensichtlich in München Breitenbachs Freunde waren: „Dr. Riegler und J. Greno“. Im bürgerlichen Wohnzimmer werden sie als Sinnbilder des intellektuellen Mannes und der modernen Frau (um 1930) inszeniert; wobei die wenigen Motive, nach Standbildmanier gestellt, eine Unterwerfung des Mannes durch die Frau andeuten: der typische surrealistische Scherz auf das überkommene männliche Begehren, der privilegierte Schauende zu sein.

Überraschend ist, daß so viele Prints von vorzüglicher Qualität im Handel sind. Der Grund ist, daß ein wichtiger Werkblock in Tuscon, Arizona, gesichert ist und der „Trust“ die übrigen Bilder veräußert; auch mit der Absicht, Breitenbachs Witwe ihr Auskommen zu sichern. Das von Niemann aus der Retrospektive geliehene Material wird auf der zweiten Station in München zu sehen sein.

Bis 19.10., Di.–Fr. 12–18, Sa. 11–14 Uhr, Knesebeckstraße 30