Kaisersaal wird zur Pförtnerloge

Ein Jahr nach dem ersten Spatenstich feiert heute der Elektronikkonzern Sony am Potsdamer Platz die Grundsteinlegung für das 25stöckige Hochhaus des US-Architekten Jahn  ■ Von Rolf Lautenschläger

Keine Investoren verkaufen sich und ihre Bauprojekte am Potsdamer Platz so medienbewußt wie Sony und debis/Daimler-Benz. Während der Automobilkonzern mit Kunst- und Tauchaktionen in den Baugruben wirbt, inszeniert der Elektronikriese für seinen 1,5- Milliarden-Bau in regelmäßiger Folge „Dates“, um nicht hinter dem Nachbar debis abzufallen. So folgte 1995 dem sogenannten „Ersten Spatenstich“ auf japanisch in Anwesenheit des Bundeswirtschaftsministers – dieser schleuderte unter Verbeugungen ein wenig Sand in die Luft – ein halbes Jahr später der fotogene Aushub der riesigen Baugruben.

Und nichts war spektakulärer als die rund 60 Millionen Mark teure Verschiebeaktion („Translozierung“) des neobarocken Kaisersaals im März. Der Saalbau des einstigen Hotels Esplanade, den Sony gegen den Willen der Denkmalschützer um siebzig Meter verrückte, ließ sich nur mit tagelanger Zeitverzögerung umsetzen. Allein das Ereignis – die Show – zählte für die Medienbosse. Das technische Desaster juckte kaum.

Zum Ereignis stilisiert wird heute auch die „Grundsteinlegung für das Sony Center am Potsdamer Platz“. „Im Herzen der Hauptstadt“ soll der mächtige Gebäudekomplex des Chicagoer Architekten Helmut Jahn errichtet werden, der die Geschichte des modern- mythischen Ortes der zwanziger Jahre wiederbelebt und zugleich fortschreiben soll. Sechs Jahre nach dem mit Senatshilfe getätigten Kauf des 26.000 Quadratmeter großen Grundstücks macht sich der Bauherr auf, ein „vitales städtebauliches Projekt gemischter Nutzung“ auf rund 135.000 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche hochzuziehen.

Begonnen wird das Bauvorhaben jetzt mit dem 25geschossigen gläsernen Büroturm. Auf dem Dreieck an der neuen Potsdamer Straße werden bis zum Jahr 2000 außerdem die Europazentrale von Sony, Geschäfte, Restaurants, ein paar Luxusappartements, Kinos, eine Mediathek sowie im Mittelpunkt des Areals eine riesige, 4.000 Quadratmeter große Plazza entstehen.

Daß die Sony-Planung kaum etwas mit der beschworenen Berliner Identität gemein hat, rührt Sony-Chef Ohga nicht im geringsten. Die historische Kontinuität, die debis/Daimler-Benz noch durch ein Remake der Parzellenstruktur aus Vorkriegstagen zu praktizieren sucht, spielt für die Corporate identity der Japaner keine Rolle. Die Abkehr von der einstigen Struktur am Potsdamer Platz liegt weniger an Helmut Jahns Vorliebe für moderne Gebäude aus Glas und Stahl, als vielmehr daran, daß Sony die Bürostadt aus einem – monotonen – Guß erstellt, der zudem einem Implantat aus dem internationalen Baukatalog gleicht. Nicht der Genius loci bestimme den Entwurf, analysierte der Baukritiker Kaye Geipel die Planung, sondern „Tokio droht als Vorbild“. Daß Sony den Erhalt des Kaisersaals als Legitimation für die historische Verbundenheit benutzt, gilt unter den Kritikern des Projekts nur als Witz. Der Kaisersaal sei zur „Pförtnerloge“ der Jahn-Planung degradiert worden, mokierte sich die Denkmalschützerin Gabi Dolff einmal.

Der Internationalismus der Sony-Bauten indessen ist kein Zufall, sondern Absicht. Nicht mehr die typische städtische Urbanität, sondern die auf Verwertbarkeit inszenierte Gebäudekulisse zählt. Ziel der Planung, so die Sony-Sprecherin Karin Püttmann, sei die Schaffung eines neuen großstädtischen und vielfältigen Zentrums. Das zukünftige Sony Center „soll als moderne Erlebniswelt für Besucher, als Dreh- und Angelpunkt für Handel und Dienstleistungen“ erfahrbar werden.

Allein die ovale Plazza, um die sich Büroterrassen, Geschäfte, Gastronomien und Videowände gruppieren („ein für Berlin völlig neuartiger Raum, der im Stil auf das 21. Jahrhundert vorgreift“), hebelt die Funktion des öffentlichen Raums aus. Die schicke Plazza wird kontrolliert und überwacht, für Schmuddelkinder ist in der Geschäfts- und Hauptstadtgesellschaft kein Platz mehr.

Sony hat sich vom Weg zur monotonen Einheitlichkeit der „visionären Architektursprache von Jahn“, wie sie der Berliner Sony- Chef Edgar van Ommen sieht, niemals abbringen lassen. Weder wurde die erste Planung für das Filmhaus des holländischen Architekten Hertzberger akzeptiert, noch hielt sich der Konzern an die Vorgaben des städtebaulichen Wettbewerbs für den Potsdamer Platz aus dem Jahre 1992, der ein engmaschiges Netz aus Blöcken und Straßen für das Quartier vorsah. Schließlich verließ Sony die verabredete Linie, die vorhandenen Altbauten – neben dem Weinhaus Huth die letzten Reste am Platz – vollständig zu erhalten. Teile des Grand Hotel Esplanade wurden abgerissen.

Visionär geben sich die Jahn- Bauten für das Jahr 2000 noch auf eine andere Weise nicht. Zwar werden die Gebäude die Energien aus dem derzeit realisierten Blockkraftwerk an der Stresemannstraße beziehen. Eine nachhaltige Energiebilanz fehlt bislang in den Jahn-Plänen. Bei der High-Tech- Architektur, deren Höhe sich schädlich auf das Stadtklima auswirkt, wie Peter Fieser von der Bürgerinitiative Westtangente fürchtet, bilden Modernität und Ökologie keine Synonyme. Und gerade hier könnte Jahn für Visionen sorgen und der Konzern sich verkaufen.