Das Leben, ein langer, unruhiger Fluß

■ „Rent a Russian“ beendet Regula Venskes Windel-Schnuller-Milchzahn-Trilogie

Der Statteil verströmt eine fast aufreizende Gediegenheit. Saubere Häuser, schöne Menschen, sogar die Tabakkioske sind gepflegt. In dieser Gegend können Werbespots für Schöner Wohnen gedreht werden. Ohne aufwendige Vorbereitung. Regula Venske schaut aus dem Fenster. „Ich lebe gerne hier“, sagt sie, „aber es wurde Zeit, das Viertel ein wenig aufzumischen.“ Für die notwendige Unruhe in der Beschaulichkeit hanseatischer Upperclass sorgt der nicht mehr ganz junge Russe Juri Trofimowitsch, einer der Protagonisten ihres neuen Kriminalromans Rent a Russian.

Der ist gerade aus dem Arbeitslager entlassen worden, wo ihn nur ein Gedanke aufrecht hielt: Vera. Viel mehr als ihren Namen weiß der smarte Tänzer auch nicht, als er in Uhlenhorst eintrifft. Doch Vera, die Juri vor langer Zeit ins Moskauer Hotelzimmer abschleppte, ist mittlerweile Mutter und hat sich mit ihrem Secondhand-Kinderklamotten-Lädchen, esoterischen Mahlzeiten und SPD-Gemahl Hermann ganz gut eingerichtet. Juri ist kaum mehr als eine blasse Erinnerung. Aber da ist noch ihre Freundin Renate, die einem exotischen Abenteuer mehr als zugetan ist.

Ähnlich einem Film von Claude Chabrol, in dem das müßiggängerische Leben in der französischen Provinz langsam mit der unvermeidlichen Katastrophe zusammenfließt, verknüpft die Autorin die Schicksale ihrer Figuren: „Da halte ich es mit Beckett: ,Nothing is funnier than unhappiness.'“ Als herbeigesehnte Projektionsfläche für die beiden Frauen, wird Juri auf tragikomische Weise auch zu ihrem Spielball. Am Ende wird fast beiläufig jemand sterben.

Wie schon in den Krimis Schief gewickelt und Kommt ein Mann die Treppe rauf sprüht auch in Rent a Russian, dem Abschluß der Windel-Schnuller-Milchzahn-Trilogie, der subversive Witz. Sehr leichtfüßig kommt er daher, schwebt durch die Erzählung und ist doch allgegenwärtig. Das blutige Shootingout ist ihre Sache nicht, schon eher das Auftauchen vollgeschissener Windeln in der zeitgenössischen Kriminalliteratur – worauf sie stolz ist. „Aber wenn schon Mord, dann als ästhetische Konsequenz“, meint sie und lächelt freundlich, „doch mein eigentliches Thema ist das Glück oder zumindest die Utopie davon.“

Doch vom Glück allein kann niemand leben. Eine Schriftstellerin schon gar nicht. Für ihren Liebesroman Pursuit of Happiness oder die Verfolgung des Glücks suchte sie vor einigen Jahren einen Verlag. „Unverkäuflich“ wurde ihr beschieden, das Thema sei nicht aufregend genug. Mittlerweile ist auch dieser Roman veröffentlicht worden, der Erfolg des ersten Krimis hat es möglich gemacht.

Die Lust an einem komödiantischen Anarchismus scheint eine nimmermüde Triebfeder zu sein. Das Genre, auch den Frauenkrimi, gegen den Strich zu bürsten, einfach alles durcheinanderzuwirbeln. „Die Rollen“, meint Regula Venske, „sollen nicht nur umgedreht, sondern anders besetzt werden.“ Diese Idee verfolgte die Literaturwissenschaftlerin schon bei ihrer Promotion. Das Verschwinden des Mannes in der weiblichen Schreibmaschine nahm sich das starke Geschlecht zum Objekt. Die Folge waren verwirrte Männer und wütende Frauen, die ihr vorwarfen, über Männer zu arbeiten. Für die undogmatische Feministin dürften beide Reaktionen ein Kompliment gewesen sein. Auch auf die Einteilung in politische oder unterhaltsame Autorin will sie sich nicht festlegen. „Es muß halt eine gute Geschichte sein“, verweist sie auf ihre Vorliebe für die klassischen Erzähler. Kurz, nur ganz kurz kommt der Gedanke auf, daß hier jemand zu nett, zu ausgewogen und zu wenig böse ist. Karsten Neumann

Lesung: Heute, 19.30 Uhr, Bücherklause Uhlenhorst, Papenhuder Straße 36