Bausteine des Swing

Fingerübung über zerlutschte Standards der Kulturkritik: In „Kansas City“, Robert Altmans Neuestem, swingt mit dem Jazz der Miesepeter  ■ Von Harald Fricke

Schon „Nashville“ war unerträglich lebensunlustig. David Carradine trug als Singer/Songwriter sofakissenfarbene Cordhosen, geckige Tweedhütchen und Ziegenbart, schaute ständig dem kalten Musikbusiness betrapst über die Schulter und spielte schauerliche Lieder über die Liebe und auf dem Klavier. Dazu stand Geraldine Chaplin nackt in einem Zimmer, auch wurde viel gekreischt, Türen gingen auf und zu; es sollte eine Art europäisches Psychokistenkino sein, ein Dramolett mit Brüchen zwischen den Menschen. Robert Altmans Abgesang auf Flower und Power war vor allem ein zäher Problemfilm der siebziger Jahre – aber wer weiß: ohne die Miesepetrigkeiten von „Nashville“ hätte es vielleicht keine rege Freude am Splatter gegeben.

In den schlimmsten Momenten von „Kansas City“ geht es ganz ähnlich vermurkst zu wie bei „Nashville“. Jennifer Jason Leigh beklagt als Blondie vom Amt in einem wüsten Südstaatenkauderwelsch die ungerechte Welt, in der klasse Frauen wie Jean Harlow bloß als billige Schlampen gelten. Nebenbei entführt sie eine drogensüchtige Politgattin (Miranda Richardson), die das Genuschel zumeist sanft mit Laudanum erträgt. Wenn sie dann einmal aufschreckt und aus dem Fenster schaut, sieht man irische Schläger auf Betrunkene einprügeln, bis sie demokratisch wählen. Denn Politik ist das schmutzige Geschäft des weißen Mannes mit der Demokratie, gerade in Zeiten Roosevelts und der Rezession. Nichts wird gut, so weit Bert Brecht.

Der Rest des Personals wurde von Altman dem Jazz der dreißiger Jahre entsprechend besetzt: Über die Hälfte der Schauspieler für „Kansas City“ sind schwarze Starmusiker aus den neunziger Jahren, die eher zu Wynton Marsalis und dem gelackten Sound des Lincoln Center For The Arts passen als etwa zur comic-haften Quirligkeit eines Fats Waller oder dem tief depressiven Art Tatum; selbst Don Byrons Crossover-Klarinette klingt nurmehr angepaßt wie ein Baustein im mannschaftsdienlichen Retro-Swing. Gemeinsam bilden sie einen antiken Chor, der je nach Stimmung mit Trauermärschen, Dixie oder Blues die sehr theatralischen Gangster-, Wahlkampf- und Entführungsszenen verfugt. Auch darin liegt ein stummer Vorwurf des inzwischen 74jährigen Filmemachers, der sich gerne als Rebell gegen Hollywood sieht: Anstatt das Drama zu kommentieren, das sich an diesem Wahltag in Wirklichkeit draußen abspielt, wird unentwegt Party gemacht. Man ist halt nur ein Häuflein Außenseiter, das unter sich bleibt. Ganz so klar und befremdlich sind dabei die Linien der Segregation auch historisch gar nicht verlaufen: Daß zur gleichen Zeit in New York die Harlem Renaissance stattfand, verschweigt Altman ebenso wie den wachsenden Anteil weißer Musiker in Bigbands. Andererseits wirkt es dann sehr unglaubwürdig, wenn Blondie eben mal in den schwarzen Jazzclub stürmt, um den Chef des Ladens zusammenzubrüllen.

Trotz Cultural studies setzt Altman stur auf Klischees: Stets muß Joshua Redman mit David Murray am Saxophon wetteifern, während einige Damen sich beschwipst ums Klavier räkeln oder dekorativ ihr Dekolleté hampeln lassen; und ein 14jähriger Steppke namens Charlie Parker sitzt staunend auf der Balustrade. Auch wird viel gekokst und gewürfelt, dann gehen Hintertüren auf und zu. Es soll eine Art amerikanisches Nouveau-Noir- Kino sein, mit musikalischen Leitmotiven von Duke Ellington bis Lester Young und Problemen zwischen den Rassen. Als Clubbesitzer Seldom Seen macht Harry Belafonte den einen oder anderen flachen Witz über Marcus Garveys „Back to Africa“-Programm und Roosevelts New Deal. Weil sich das alles auch flott in die Niederungen des Kapitalismus fügt, läßt Altman einem kleinen Ganoven noch das Pfund Fleisch aus den Eingeweiden schneiden. Zum Schluß werden symbolisch Geldscheine gezählt.

In Interviews hat Robert Altman immer wieder betont, daß „Kansas City“ für ihn durch und durch der reine Jazz ist – auch was das Spiel seiner Akteure anbelangt. Leigh, Belafonte oder Richardson sieht er als Instrumente einer Session mit wechselnden Soli. Improvisiert wird allerdings bloß über das immergleiche Thema: Amerika macht seine Kinder kaputt. Natürlich ist das Kino daran schuld, weil es die Menschen zur Identifikation mit seinen Mythen zwingt. Groß sieht man dann Jean Harlow auf der Leinwand und Jennifer Jason Leigh in der zwölften Reihe schluchzen. Die Schwarzen können sich das Kino nicht leisten, doch dafür verführt sie der Jazz. Das ist ein Altmanscher Sarkasmus, für den kein Parker, Coltrane oder Coleman Hawkins ins Horn geblasen hätte. Sie haben für ihre Musik gekämpft, Altman aber haßt Filme. Daß er den Jazz von einem schwarzen Kindermädchen gelernt hat, klingt dabei unangenehm – fast wie eine Entschuldigung und zugleich maßlos eitel; daß Altman über ein sich unendlich verfeinerndes Kontrabaß-Duett mit Ron Carter und Christian McBride den Abspann in grellen gelben Lettern blenden läßt, paßt in dieses Bild.

„Kansas City“. Regie: Robert Altman. Mit Jennifer Jason Leigh, Miranda Richardson, Harry Belafonte u.a. USA 1996, 118 Min.