Gesteinsbrocken oder Immergrün?

■ Der traditionsreichen Kunstzeitschrift der HfBK „Spuren“ droht das schleichende Aus

„Der Finger, der auf den Mond deutet“, und der Hund, der zum Verzehr vorbereitet wird: Mit dem Schwung neuer Ausrichtung auf dem Titelbild versucht ein alt-alternatives Magazin seine finalen Grenzen zu überwinden. Und doch ist das aktuelle Heft 45 der Hamburger Spuren jetzt nicht nur das letzte der verstorbenen Herausgeberin Karola Bloch, sondern droht überhaupt das letzte zu sein. Der Dauerstreit an der Hamburger Hochschule für bildende Künste, mit der die Redaktion trotz formaler Unabhängigkeit doch zusammengesehen wird, hat die ungewöhnliche Zeitschrift alles andere als befördert.

Vor dreizehn Jahren mit den exquisiten Paten Ernst Bloch und Joseph Beuys gegründet und durch die Stiftung eines exklusiven Beuys-Multiples samt Hörcassette und Honigpumpen-Fotos anschubfinanziert, mangelt es inzwischen so sehr an Lesern und Geld, daß die Vierteljahresschrift schon ein Jahr nicht erschienen war. In Zeiten, in denen mit den alten Utopien gleich fast alle Ideale mitentsorgt werden, scheint das Feld für objektive Betrachtungen subjektiver Weltzugänge (und was wäre Kunst- und Kulturkritik anderes) dramatisch geschrumpft.

Dabei öffnet die neue Redaktion unter Gunnar F. Gerlach mit Michael Batz, Jan-Robert Bloch, Susanne Dudda und Achim Lenger mit dem aktuellen Thema des Dialogs mit dem Fremden das entscheidene Feld des Jahrzehnts für die Bewährung künstlerischer Theorie und Praxis. Dialogisches Denken, literarisches Philosophieren und künstlerisches Politisieren sind Bausteine jener offenen Haltung, die das Kommunikationsmodell der Zukunft braucht. Spuren versteht sich als einzige Kunstzeitschrift, die nicht nur dem Kunstzirkus zuarbeitet und alles auf das Äquivalent Geld hin abmißt. Ihr Konzept ist, im großen theoretischen Erbe, aber nicht in akademischer Selbstbespiegelung zeitorientiert weiterzudenken.

Bei Michael Batz scheitern Kommunikationen mit dem Unbekannten mit Beckettscher Ausweglosigkeit schon an Anrufbeantwortern oder verbergen sich auf dem Grund von Zufallsfotos städtischer Unorte. Yoko Tawada versucht mit rücksichtsvoll ethnologischem Blick, europäische Alltagsmagien zu verstehen, und Nilgun Köse beschreibt aus türkisch-deutscher Sicht die Reaktion der Intelligenz auf Ausländerverfolgungen. Der US-amerikanische Soziologe Richard Sennet äußert sich zur Fremdheit in den Städten, Artauds Reise zu den Tarahumara-Indianern in Mexiko wird durch Gerd Roscher in Erinnerung gerufen und die aggressive Ausgrenzung des Fremden in der Volksmusik von Till Briegleb erörtert.

Fotoserien und Buchrezensionen runden das Heft ab, das viele Steine ins Wasser wirft, damit sich die Kreise zu neuen Gedanken überkräuseln. Als nächste Themen sind „In the Ghetto“ geplant, eine Spurensuche der Rezeption schwarzer Kultur im europäischen Mittelstand und Überlegungen zur kulturgeschichtlichen Dimension der Datenvernetzung. Fürs Überleben dieser bundesweit nicht allein der Auflage von nur tausend Exemplaren wegen raren Erscheinung unter den Zeitschriften werden baldmöglichst 500 neue Leser-Abonnenten gesucht, denn ein Verlag, der mäzenatisch sozusagen „Kunst am Bau“ betreibt, scheint nicht in Sicht. Hilfreich für den Weiterbestand ist auch der Erwerb der wenigen verbliebenen Restexemplare der Beuysedition zu inzwischen sehr günstigen viertausend Mark über die Redaktion.

Hajo Schiff

„SPUREN in Kunst und Gesellschaft“, Lerchenfeld 2, 22081 Hamburg. Einzelhefte (12 Mark) und Abonnements (48 Mark, Förderabo 96 Mark) über: ConBrio Verlag, Von-der-Tann-Str. 38, 93047 Regensburg