KZ Neuengamme: Nazis planten Ausbau

■ Hamburger Historiker stöberte geheime Baupläne in Moskau auf Von Silke Mertins

Das Konzentrationslager Neuengamme sollte nach dem Willen der Nationalsozialisten nach Kriegsende zur Dauereinrichtung werden, um die Bevölkerung zu disziplinieren. Das geht aus Bauplänen der SS-Bauführung hervor, die der Hamburger Historiker Hermann Kaienburg in bisher geheimen Moskauer Archiven entdeckt hat.

Neuengamme, das zentrale Konzentrationslager für Norddeutschland, bestand zunächst lediglich aus provisorisch errichteten Holzbarracken, die als Häftlingsunterkünfte dienten. Siegessicher auf das erwartete Kriegsende schielend, plante die SS-Bauverwaltung deshalb 1942, das KZ für die Nachkriegszeit zu rüsten. Aus Stein sollten die Unterkünfte sein, groß und repräsentativ das Eingangsgebäude mit Tordurchfahrt; eine „Entlausungsstation“, Werkhallen für Holz- und Eisenverarbeitung und andere Wirtschaftsgebäude waren geplant.

„Vermutet haben wir schon immer, daß das Konzentrationslager Neuengamme als Dauereinrichtung ausgebaut werden sollte“, sagt Herbert Dierks, Archivangestellter in der Gedenkstätte Neuengamme. „Aber diese Funde in den bisher nicht zugänglichen Archiven sind der Beweis für unsere Annahmen, daß die Konzentrationslager fester Bestandteil der Gesellschaft werden sollten, um auch weiterhin in der Bevölkerung Angst und Schrecken zu verbreiten und Arbeitssklaven zu konzentrieren.“

Realisiert wurden von den Nazis allerdings nur zwei der acht geplanten Massivbauten. Die Werkstätten wurden nur provisorisch errichtet, und zum Bau des monströs geplanten Eingangsgebäudes kam es gar nicht.

Wie die Baupläne für das KZ Neuengamme überhaupt in das Moskauer „Dokumentationszentrum zur Aufbewahrung historisch-dokumentarischer Sammlungen“ gekommen sind, kann nur vermutet werden. Bis vor kurzem war sogar das Archiv selbst geheim. Wahrscheinlich, so Historiker Kaienburg, sind die Akten aus der Inspektion der Konzentrationslager in Oranienburg 1945 in russischen Besitz gekommen und zusammen mit vielen anderen Unterlagen in die Sowjetunion gebracht worden.

Auch für das Fabrikgebäude der Walther-Werke, wo KZ-Häftlinge Waffenteile herstellen mußten, existierten Entwürfe. Ursprünglich sollte das Werk westlich der Lagerstraße gebaut werden. Der Standort wurde jedoch später auf die Ostseite des Häftlingslagers verlegt, wo das Gebäude heute noch steht.

Die wichtigsten in Moskau gefundenen Dokumente werden am 4. Mai in einem Flügel der Walther-Werke ausgestellt. Das ehemalige Häftlingslager selbst ist allerdings bis heute für die Öffentlichkeit nicht zugänglich; dort wurde 1948 eine Strafanstalt eingerichtet, die der Senat seit Jahren zu verlegen verspricht. Passiert ist bisher nichts. Im Gegenteil: Umbaupläne der Zellentrakte lassen vermuten, daß die versprochene Übergabe an die KZ-Gedenkstätte vorerst ein Lippenbekenntnis bleibt.