Der türkisfarbene Tomatenausbeindolch

■ Heute endet das juristische Nachspiel des Attentats auf Monika Seles Von Lisa Schönemann

Für die Dauer der Verhandlung lag das Messer in einem Regal hinter dem Richtertisch. Die Tatwaffe, die der angeklagte Günter Parche aus einer Küchenschublade nahm, bevor er im April 1993 nach Hamburg fuhr, mußte im Prozeß für die verschiedensten Theorien herhalten. Die Vorsitzende Richterin tat sich zunächst schwer mit dem einfachen Küchenutensil: „Herr Parche, haben Sie schon einmal Kartoffeln geschält?“

Der erste Versuch einer Klassifizierung scheiterte. Die Richterin legte sich später auf ein „Tomatenmesser“, der Staatsanwalt auf ein „Ausbeinmesser“ fest, während die Nebenklagevertreter es lieber gesehen hätten, wenn gleich von einem Dolch die Rede gewesen wäre. Schon wegen der leicht gebogenen Form der dreizehn Zentimeter langen Klinge. Günter Parche dagegen hatte offenbar ganz willkürlich nach dem türkisfarbenen Tatwerkzeug gegriffen. Er hat vor Gericht immer wieder beteuert, daß er Monica Seles beim Citizen Cup nur eine Verletzung zufügen wollte, die sie für einige Wochen spielunfähig macht. Seine Angebetete, die er stets beim vollen Namen Stefanie Graf nennt, sollte an die Spitze der Weltrangliste zurückkehren.

In einem Punkt hatte der Thüringer Glück: Der psychiatrische Sachverständige, dem nachgesagt wird, er möge keine Ganoven, beschrieb Günter Parche vor Gericht als „ein wenig verkrustet“, einen „skurrilen Einzelgänger“, der „auf sein Dorf fixiert“ sei. Außerdem diagnostizierte er eine „kombinierte Persönlichkeitsstörung“, aufgrund derer eine verminderte Schuldfähigkeit nicht ausgeschlossen werden könne. Ein Umstand, der eventuell strafmildernd in die Urteilsfindung einfließen wird.

Er würde nie wieder eine Rivalin seiner Favoritin angreifen, hat Parche beteuert und treuherzig hinzugefügt: „Außerdem kennen mich ja jetzt alle.“ In der laufenden Verhandlung zementierte sich der erste Eindruck, der Angeklagte sein kein Mann, der über längere Zeit ein größeres Lügengebäude aufrechterhalten könnte. Offenbar hat er nur ein einziges Mal eine unwahre Angabe gemacht: Als er sich kurz vor der Tat im Hotel mit falschem Namen eintrug: „P. Günter“ schrieb Parche ins Gästebuch. Mehr gab seine Fantasie nicht her.

Dies alles war in der ersten Instanz schon deutlich geworden. Der Thüringer, der in der Nähe von Gera bei seiner Tante lebt und jedwede Veränderungen scheut, wurde wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die von der Nebenklage und der Staatsanwaltschaft angestrengte Berufungsverhandlung war bisher nicht viel mehr als ein Scharmützel. Seles-Anwalt Gerhard Strate ließ zwei Tatzeugen aufmarschieren, die gesehen haben wollen, wie der Angeklagte „mit voller Wucht“ zugestoßen haben soll. Nach allen Regeln der Kunst wollen die Nebenkläger den Steffi Graf-Fanatiker eines versuchten Totschlags überführen. Ein Zeuge ergriff sogar das türkisfarbene Messer und stieß beim – nur bildlichen – Zustechen einen Schrei aus. Der Angeklagte sei mit den Armen auf eine Ballustrade geprallt und habe so sein (tödliches) Ziel am Hals der Monica Seles verfehlt. Die Verteidigung präsentierte ihrerseits Augenzeugen, die keine Tötungsabsicht erkennen konnten. Otmar Kury nannte die Zeugen der Nebenklage „eine Geisterarmee“ und verfolgte seine eigene Theorie: Parche habe ein scharfes Messer gewählt, um ohne viel Kraft eine oberflächliche Wunde zu hinterlassen. Flatterten die Roben allzu aufgeregt, bat die Vorsitzende Richterin Gertraut Göring energisch um „Ruhe“. Als einzige Prozeßbeteiligte war sie nicht auf Effekte bedacht, kein „Blasebalg am Medienfeuer“, wie der Verteidiger die Gegenseite beschimpfte.

Es wurde nicht allein auf inhaltlicher Ebene gefochten: Die Gerichtsdiener versuchten, mit vereinten Kräften und einer Stahltür, hinter der sie sich mit Zeitschriften und Weingummi verschanzten, einen Wall gegen die angereisten Photoreporter zu bilden. Letztere, die oft stundenlang auf einer Holzbank vor dem Zugang zum Gerichtssaal ausharrten, ohne einen einzigen Schnappschuß zu ergattern, hatten das Nachsehen. Wenn Parche heute verurteilt wird, ist das Medien-Spektakel zu Ende.