Mysterium des geteilten Weibes

■ Strindbergs “Rausch“ als Komödie im Theater im Zimmer

Die Faszination des Theaters besteht vielleicht in der Auslebung großer Gefühle durch Stellvertreter. Die Zuschauer ziehen sich peinlich berührt in ihre Sessel zurück, schwer beruhigt ob der Einsicht, daß sie sich niemals so aufführen würden. Ein Mann, zwischen Ehefrau samt Kind und Geliebter – die alte Geschichte der Zweiteilung von Frauen in Heilige und Hure möchte man meinen.

Doch im Theater im Zimmer wird ergiebiger Anschauungsunterricht gegeben, wie ein Mann als Tölpel entlarvt werden kann. Die natürlich rothaarige Henriette, die die Rolle der „Hure“, des „Weibsteufels“ gibt, verwendet Taktiken der Schmeichelei, der Provokation, der Rätselhaftigkeit, der ungebremsten Bewunderung und der Bosheit, um sich ihren Helden zu angeln. Umwerfend gespielt von Heidrun Gärtner, spiegelt Henriette Maurice in seiner Eigenliebe, bis ihm nicht nur der Kamm schwillt. Was für eine Energieverschwendung! Gewöhnt an Anbetung durch seine Ehefrau, deren Durchschaubarkeit ihn schon langweilt (“Wenn Du mich verläßt, gehe ich in den Fluß“). Und überhaupt liebt er ja seine Tochter mehr als die Mutter. Bald freut sich Maurice auf rätselhaften Nachschub, auf seine neue Geliebte. Sein Rausch ist die Berauschung des Ichs mit Hilfe des eigenen Ichs, die Verliebtheit in die eigene Unsterblichkeit als Künstler und Vater. Henriette versucht Ruhm und Glorie des Künstlermannes zur eigenen Macht umzufunktionieren. „Strindbergs religiöse Inbrunst rettete sich in die Vergöttlichung der Frau, dann in die Vergöttlichung des Industriearbeiters, zuletzt in die Vergöttlichung eines utopischen Staates und dann blieb nur das Kind, welches dem Vater die Unsterblichkeit verbürgen mußte: atheistischer Seelenwanderungsglaube“, schrieb Ludwig Marcuse in „Strindberg. Das Leben einer tragischen Seele“. Die Vergöttlichung der Frau gipfelt in grotesk-theatralischen Forderungen wie „Willst Du mit mir sterben?“. Nachdem Maurice der „blutdurstigen“ Henriette ihr verbrecherisches Geheimnis entlockt hat, flaut sein Interesse stark ab. Die „gute“ Ehefrau Jean hingegen hat seit dem tragischen Tod der Tochter noch Chancen. Henriette kehrt zu ihrer Mutter zurück (!), Maurice schießt sich leider nicht auf den Mond, sondern ergeht sich in Spekulationen, daß Jean ihn natürlich noch immer lieben würde. Er spüre das. Was das Publikum einen lauten Lacher kostet.

Kerstin Kellermann