Die Frau, der man vertraut

■ Eine definitiv "sophisticated lady": Dame Edna Everage - vor ihrem Charme ist niemand sicher, ihre MitarbeiterInnen nicht und das Publikum schon gar nicht

Hi possums! – Hallo Beutelratten!“ Ganz gleich, wo auch immer sie auf dieser Welt gerade auf der Bühne steht, diese Begrüßung ist für Dame Edna Everage Pflicht. Das verlangt der Kult um diese Kunstfigur. Ihre kleine, perfekte Welt hat ihre eigenen unumstößlichen Riten – wie zum Beispiel die Berge von Gladiolen, die Edna zum Ende jeder Show ins Publikum wirft. Nach Auftritten in Düsseldorf und Hamburg gibt sich Edna nun im Berliner Schloßpark- Theater die Ehre.

Dame Edna ist ein selbst ernannter Megastar, der es von der schlichten Behauptung längst dahin geschafft hat. In Melbourne ist eine Straße nach ihr benannt, bei Madame Tussaud ist sie als Wachsfigur zu besichtigen. Dame Edna ist ein Exportartikel in alle Welt, die mit ihrer Fernsehshow „The Dame Edna Experience“ den Begriff der Talkshow neu besetzte und ihre prominenten Gäste – von Mel Gibson bis Liza Minelli – mit einer Unverfrorenheit behandelte wie sonst niemand zuvor und danach. Dame Edna ist eine Ikone geworden, Kult eben. Wer sie besichtigt, kommt, um ihr zu huldigen, und zwar mit einem Enthusiasmus, der vom ersten Moment an berauschende Euphorie freisetzt.

Edna, das ist ein 1,90-Meter- Wesen auf Storchenbeinen. Mit mauvefarbenen, ondulierten Haaren und einer schwungvollen, straßbesetzten Brille. Ein Wesen in einem glitzernden Kleid, das in seinen Stöckeln beim Tanz eine Beweglichkeit an den Tag legt, daß man mit jedem Takt einen Knöchelbruch erwartet. Dame Edna – das ist Barry Humphries.

Einst war sie nur eine von vielen Bühnenfiguren, in die der 1934 geborene Schauspieler, Schriftsteller und Kabarettist schlüpfte. Vor 30 Jahren, im fernen Australien, da kommentierte die „ordinary Hausfrau“ den gewöhnlichen Alltag. Im Laufe der Zeit ist Edna dem tristen Melbourner Alltag entwachsen und ging in die große, weite Welt und stieg auf in die High-Society.

Edna ist charmant, eine Art Queen Mum mit einem großen Herzen, einem vertraulichen Lächeln, einer sanften, in den hohen Frequenzen zum Krächzen neigende Falsettstimme. Eine Frau, der man vertraut. Da kommen die hochnäsigen Bösartigkeiten, ihre spitzen Bemerkungen, die ganz und gar nicht „politically correct“, sondern im besten Falle unverschämt sind, daher wie ein Kompliment. Schamlos verstößt Edna gegen alle guten Sitten und Geschmack.

Madge Allsop (Emily Perry), ihre Brautjungfer aus Neuseeland, ein schmächtiges, fahles und dürres Wesen in Sack und Asche, kaum mehr als halb so groß wie Edna, ist ein ideales Opfer ihres Spotts. Madges, zur Stummheit verdammt, erduldet ihr Schicksal mit einem Dackelblick, der Tränen hervorruft. Ein Gesicht, in dem alles gnadenlos zu Boden hängt. Madge, das ist der ultimative Antistar und die geniale Neuschöpfung der klassischen Showassistentin. Für Edna ist sie wie „eure Ossis. Ständig hat sie ihre Hand in meiner Tasche. Und sieht sie nicht auch so aus?“

Edna liebt ihr Publikum, und darum lernt sie es auch Abend für Abend ganz persönlich kennen. Sie fragt Richard in der dritten Reihe nach seinem netten Straßanhänger und Brigitte in der ersten, wer ihr dieses scheußliche Jackett überlassen habe. Und ab und zu schickt Edna auch eine ganz besonders nette Spitze in die letzte Reihe, zu denen auf den billigen Plätzen, zu „Les Miserables“ „My missis“ nennt sie sie liebevoll. Dann wird kurzerhand Gerts Tochter von der Bühne herunter zu Hause mit einem Anruf überrascht und zwei Damen aus dem Publikum werden zum Wäschebügeln auf der Bühne zwangsverpflichtet. Schließlich soll die ausrangierte Unterwäsche ihres toten Ehemanns in gepflegtem Zustand an die „missis“ verteilt werden.

Zwei Stunden lang plaudert Dame Edna aus ihrem Leben und von ihren Erlebnissen mit den „celebrities“ aus aller Welt. Sie fragt ihr Publikum aus, um kurzerhand mit Pointen zu kontern, immer wieder Details in ihrem Geplauder aufzugreifen und als zynische Attacke zu mißbrauchen. Und während sie mit der einen Gesichtshälfte ihrem gerade auserwählten Schäfchen im Saal aufmerksam und lächelnd zuhört, verzieht sich die andere zu einem hämischen, sich mit dem Publikum verschwörenden Grinsen.

Dame Edna, das ist ein bißchen Barbara Cartland und zum anderen die Gehässigkeit eines Menschen, der das deutsche Wort „Schadenfreude“ neben Beethoven für den wichtigsten Beitrag dieses Landes zur Weltkultur hält. Von der ersten Minute an hat sie ihre Zuschauer fest in der Hand und im Bann. Eine Dame, die sich in ihrer Rolle und ihrer Welt so perfekt bewegt, daß jede noch so übertriebene Behauptung, jede noch so exaltierte Geste und Grimasse Authentizität vermittelt. Aber auch jenen Esprit und Geist, der die Erbärmlichkeit hiesiger billiger Edna-Plagiate, etwa einer Mary Zentis, um so drastischer ins Auge fallen läßt.

Von Dame Edna Everage zum Narren gemacht worden zu sein, kommt einer Adelung gleich. Heute abend ist dazu die vorläufig letzte, einmalige Gelegenheit. Axel Schock

12. 10., 20 Uhr, Schloßpark-Theater, Schloßstraße 48