Brüder im Geiste des Konsums

■ Trotz Vertragsbruchs: Peter Schwenkow darf das Schiller Theater auch weiterhin an seinen ehemaligen Konkurrenten Boksch untervermieten

Das Schiller Theater polarisiert. Vor noch nicht allzu langer Zeit stand es im Mittelpunkt des Streits um den Sparkurs des damaligen Kultursenators Ulrich Roloff-Momin. Die subventionierte Bühne wurde geschlossen, und das Gebäude nach langem Gezerre an den Kommerzkulturunternehmer Peter Schwenkow vermietet. Zu günstigen Konditionen: Die Jahresmiete belief sich nach Abzug aller Senatszuschüsse auf 8.000 Mark.

Ein Konkurrent Schwenkows hatte dem Senat damals ein attraktiveres Angebot gemacht. Wolfgang Boksch wollte mehr Geld in das Schiller Theater stecken, die Rede war von bis zu fünf Millionen Mark für Investitionen. Die Entscheidung für den teureren Schwenkow rief Verwunderung hervor, von Seiten des Senats hörte man etwas von einer „politischen Entscheidung“ – wollte Schwenkow doch sogenannte „Historicals“, Stücke aus der Berliner Stadtgeschichte, auf die Bühne des Schiller Theaters bringen.

Vor einigen Tagen geisterten die beiden einstigen Konkurrenten vereint durch die Pressemeldungen: Brüder im Geiste des Kapitalismus. Denn Wolfgang Boksch ist seit Januar diesen Jahres der Untermieter von Peter Schwenkow: Anstelle der einst von seinem Vermieter angekündigten „Historicals“ feiert er Broadway-Stücke ab wie „42nd Street“ oder „Black and Blue“, das in der kommenden Woche Premiere hat. Jetzt hat er seinen Mietvertrag bis zum Mai 1997 verlängert. Und er denkt an ein längerfristiges Engagement am ehemaligen Schiller-Theater: „Evita“ und „Tommy“ möchte er hier produzieren – beides Stücke, die länger als nur ein paar Wochen laufen müßten, um die Kosten der Produktion wieder hereinzubringen.

Im Kultursenat macht man sich keine großen Gedanken darüber, ob Vertragspartner Schwenkow die städtische Immobilie weitervermietet. Die Hauptsache sei, so erklärt der Pressesprecher von Senator Radunski, daß das Haus bespielt werde. Alice Ströver, die kulturpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, sieht das anders: „Es ist ein hochgradiger Skandal, daß die Stadt auf der einen Seite sparen muß, auf der anderen Seite aber Schwenkow bei seinen Geschäften unterstützt.“ Denn neben der niedrigen Miete sind auch noch Außenstände zu verzeichnen: Schwenkows Deutsche Entertainment AG hätte 1995 und 1996 zusammen eine Million Mark ins Schiller Theater investieren müssen. Bis jetzt ist das nicht geschehen. Im Kultursenat findet man, daß nun doch einmal ein „ernstes Gespräch“ mit Schwenkow stattfinden müsse. Alice Ströver: „Das reicht natürlich nicht. Hier liegt ein Vertragsbruch vor, und der Senat muß handeln.“ Am nächsten Montag soll das Schiller Theater auf Drängen der Grünen wieder einmal im Kulturausschuß verhandelt werden.

In letzter Konsequenz hieße das Beharren auf einem Vertragsbruch, Schwenkow vor die Tür zu setzen. Was dann aus dem Schiller Theater werden soll, weiß Alice Ströver auch nicht. Sie verweist nur noch einmal darauf, daß ihre Fraktion von Anfang an gegen die Musical-Nutzung gewesen sei. Um sich dann aber geläutert zu geben: „Vielleicht sollte man Boksch fragen, ob er dann an einem Vertrag interessiert wäre ...“

Dem wäre das sicherlich recht. „Wenn ich kein Interesse am Schiller Theater hätte, würde ich dort zur Zeit wohl kaum zu deutlich schlechteren Konditionen arbeiten, als ein direkter Vertrag sie mir ermöglichen würde“, erklärt dieser. Fest steht, daß Boksch Concert, so heißt seine Firma, an einer festen Spielstätte in Berlin interessiert ist: „Ich hätte gerne ein Haus für meine Produktion hier in der Stadt – und ich würde es ohne Subventionen führen“, wirbt Boksch in eigener Sache.

Bei der Deutschen Entertainment AG, deren Pachtvertrag mit der Stadt noch bis zum Jahr 2015 verlängert werden kann, sieht man die Sache locker. Noch sei die Frist für die Investitionen ja nicht abgelaufen, erklärt Vorstandsvorsitzender Philipp Hardenberg. Über die „Historicals“ gebe es nur mündliche Zusagen, vertraglich seien sie nicht zugesichert worden. „Aber wir arbeiten an einer eigenen Produktion“, so Hardenberg, der über den Inhalt jedoch nichts sagen will: „Das soll eine Überraschung werden.“ Zuständig für die Überraschungen ist die Stella Musical AG, die mit 90 Prozent an den Aktien der Deutschen Entertainment beteiligt ist. Stella Musical hat sich mit Großproduktionen wie dem Hamburger „Phantom der Oper“ auf dem Musicalmarkt breitgemacht und wird sich am Potsdamer Platz mit einer vergleichbaren Show für einige Jahre einmieten.

Boksch Concert und die Deutsche Entertainment AG sehen sich naturgemäß beide weniger als Geschäftsunternehmen, denn als Entwicklungshelfer. Musicals seien ein Tourismusmagnet, behaupten beide – immer ein Argument in einer Stadt, die sich verzweifelt durch die Zurschaustellung ihrer Baustellen zu profilieren versucht. Dem Senat stünde es frei, zumindest in Hinsicht auf das Schiller Theater in die Gestaltung der kommerziellen Kultur in Berlin einzugreifen. Im Moment sieht es allerdings eher so aus, als wolle man dem Trust von Peter Schwenkows Deutscher Entertainment und Stella Musical freie Hand lassen. Kolja Mensing