Barfußspiel vorm Frühstück

■ In Lausanne glänzte La Beart in einer Strindberg-Inszenierung von Luc Bondy

Kerstin hätte vielleicht nicht diesen Drang weg vom Ehemann, würde der nicht selbst mit den Möglichkeiten eines libertinären Liebeslebens spielen. Knut treibt seine junge Frau förmlich in die Arme seines Freundes Axel, der sie zur Zeit besucht. „Ist er schon aufgestanden?“ fragt er morgens hintergründig, worauf sie antwortet: „Wenn ich nicht wüßte, daß du nie eifersüchtig werden kannst...“ Was natürlich meint: Ach, wärst du's nur.

Sie wird es in Ansätzen erleben, zumindest in Luc Bondys Inszenierung von Strindbergs „Mit dem Feuer spielen“ im kleinen ThéÛtre Vidy-Lausanne direkt am Genfer See. Bondys Knut ist Pascal Greggory. Immer wieder streicht er um seine Frau herum und zieht sie mit den Augen aus, so wie Strindberg seine Figuren mit Worten auszieht. Kommt er an diese Frau wirklich ran? Und hat er nicht doch Angst, sie könnte sich abwenden?

Kerstin wird von Emmanuelle Béart gespielt und ist hier ganz und gar „Eine französische Frau“. Sie genießt die Annäherungsversuche und entzieht sich ihnen zugleich. Ein derart kalt glühendes Spiel zwischen Menschen, die kleinste Bewegungen, Gesten und Blicke des anderen mitbekommen, dies aber sofort verstecken, sieht man selten. Nennt einer den Namen Axels, fallen beide kurz übereinander her. Liebe ist in diesen Momenten eine chemische Reaktion.

Knut lebt seine libertinäre Libido mit Cousine Adèle hinter dem Haus und eher als Akt der Notdurft aus. Bondy parodiert diese Beziehung, aber verrät die Figuren dabei nicht. Selbst im quicken Gassenhauer schwingt bei der gouvernantenhaften Adèle (Christine Vouilloz) die Sehnsucht nach Entgrenzung mit; und für Knut ist das Intermezzo eine Verschnaufpause während des anstrengenden Spiels mit Kerstin. Es hat etwas Einfältig-Rührendes, wie Greggory das spielt. Axel hingegen wirkt in Lausanne farbloser, als es die Figur verdient hat. Um der Verlegenheit zu entkommen, setzt Thierry Fortineau hinter jedes Wort ein Ausrufezeichen, jede Fingerbewegung signalisiert ein Seelenzucken.

Die kleine Tragikomödie „Mit dem Feuer spielen“ schrieb Strindberg zusammen mit „Fräulein Julie“ im Jahr 1892. Sie wird so gut wie nie gespielt und oft als Fingerübung des Meisters mißverstanden. Anders in Lausanne. Richard Peduzzis hat ein turmähnliches Haus gebaut, das im Schnürboden verschwindet, und ein langgezogenes Vordach angefügt, unter dem sich alles abspielt. Ein halböffentlicher Raum, in dem jeder Wortwechsel mitgehört werden kann und in dem Emmanuelle Béart die ganze Zeit über barfuß wandelt. Gerade Brian de Palmas „Mission: Impossible“ entflohen, ist sie hier in sicher ungewohnten Gagendimensionen gelandet und hat die aus Paris angereiste französische Theaterwelt gleich zu Saisonbeginn überrascht und beglückt.

Seit René Gonzalez das kleine, von Max Bill als Provisorium gebaute Theater in Lausanne leitet, finden hier die wirklich wichtigen Premieren des französischsprachigen Theaters statt – und das, obwohl die internationalen Koproduktionen ohne festes Ensemble und mit kleinster Produktionscrew auf die Beine gestellt werden. Nach Peter Brook und Bob Wilson hat nun auch Luc Bondy gezeigt, daß man keine große Theatermaschinerie braucht.

Wie er Spannungsbögen auf die Spitze zu treiben weiß, sieht man noch einmal am Ende der Inszenierung. Kerstin und Axel haben sich geküßt, für Kerstin ist das Spiel vorbei, jetzt will sie bedingungslos – Axel. Bevor der sich aber aus dem Staub macht, kommt es zu einer kurzen Aussprache, während der auch Knut die Maske der Nonchalance fallen läßt. Bondy läßt derweil das Frühstück auftragen. Je lauernder die Cousine und Knuts Eltern servieren, desto nervös-verhaltener geraten die Offenbarungen der drei. Am Ende sitzt Emanuelle Béart seelen- und blicklos am Tisch. Um sie herum Frühstücksreste. Und Knuts Hand beginnt schon wieder auf dem Rücken der Cousine zu wandern. Jürgen Berger

„Mit dem Feuer spielen“. Von August Strindberg. Regie: Luc Bondy. ThéÛtre Vidi-Lausanne. Bis Ende Oktober. Danach in Wien, Recklinghausen, München, Hamburg