Polizei muß auf Stuhlgang warten

■ Gerichtsurteil: Um Dealer des Drogenbesitzes zu überführen, dürfen keine Brechmittel eingesetzt werden

Frankfurt/Main (dpa/taz) – Mutmaßliche Drogendealer dürfen nicht per Brechmittel gezwungen werden, ihre Schmuggelware auszukotzen. Statt dessen muß die Polizei auf ihren Stuhlgang warten. Das hat gestern der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt entschieden. Der Einsatz eines Brechmittels zur Beweissicherung geschehe „gänzlich ohne gesetzliche Grundlage“ und sei durch die Strafprozeßordnung nicht gedeckt.

In dem Revisionsverfahren ging es um die Festnahme eines 28jährigen marokkanischen Drogendealers am 3. Januar 1995 in Frankfurt. Mit Hilfe eines Brechmittels spuckte der Marrokaner 20 „Kokain- Bömbchen“ aus, die er vor seiner Festnahme verschluckt hatte. Das Amtsgericht hatte den Brechmitteleinsatz unter der Voraussetzung für rechtmäßig erklärt, daß dies unter ärztlicher Aufsicht geschehe.

Nach Auffassung des OLG hingegen verstößt der Einsatz von Brechreiz auslösenden Mitteln – wie etwa Sirup – vor allem gegen die Menschenwürde und das Grundrecht auf körperliche und seelische Unversehrtheit. Ein Beschuldigter müsse Maßnahmen zur Beweissicherung dulden, dürfe aber nicht zu aktiver Mitwirkung gezwungen werden, erklärten die Richter. Die Frankfurter Polizei setzt im Kampf gegen Rauschgifthändler seit 1994 Brechmittel ein. In Bremen wird diese Praxis bereits seit 1992 angewendet und ist innerhalb des Senats heftig umstritten.

Das OLG Frankfurt erkannte gestern auf einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Danach müsse das jeweils mildeste wirksame Mittel zur Beweissicherung angewendet werden: Das verschluckte Beweismittel könne ohne weiteres „durch natürliche Ausscheidung“ gesichert werden.

Das Amtsgericht hatte den Marrokaner wegen Drogenhandels zu einer Haftstrafe von neun Monaten auf Bewährung verurteilt. Nach einem ersten Berufungsverfahren legte sein Verteidiger Revision ein, um eine Grundsatzentscheidung vor dem OLG zu erlangen.