Unmusikalisches Aufsagen

■ Thalia: Jürgen Flimm kastriert Hölderlins Fassung von Sophokles „Antigone“

Wenn man Sophokles in der Hölderlinschen Übertragung spielt, will man das Pathos. Wenn man das schön verzierte Sublime aber dann doch wieder verkleinern möchte, läßt man es fürchterlich hölzern und affektiert sprechen, oder wie versteht man die unglaubliche Verhunzung von Sprachmelodie und -inhalt durch die Schauspieler in Jürgen Flimms Antigone-Inszenierung sonst?

Daß man Hannes Hellmann als Kreon zwei Nachhilfesemester an einer deutschen Schauspielschule wünscht, kann doch nicht nur an der Unfähigkeit des Darstellers liegen? Daß Nachwuchs-Antigone Sylvie Rohrer Würde mit Weinerlichkeit verwechselt und in emotionsloser Aufgeregtheit jede Szene so überreizt, bis von der tragischen Botschaft nur ein Häuflein Gute Zeiten, schlechte Zeiten übrig bleibt, muß doch irgendwelche konzeptionellen Gründe haben. Und daß auch die meisten anderen Auftretenden den in ihrem Stück vorkommenden Satz, man solle lieber „viel lernen und nichts gar zu weit treiben“ überhört haben und statt dessen ihren auswendig gelernten Text wie aufgezogen dahersprechen, gibt einem endgültig das Rätsel auf: Was will Jürgen Flimm uns mit dieser Antigone sagen? Ich muß gestehen: Ich weiß es nicht.

Wenn sich der Vorhang hebt und die müdegedienten Ausstattungs-Eheleute Glittenberg das Publikum mit einer schwarzen Lavalandschaft mit rostigen T-Trägern und brennenden Tonnen sowie schwarzen Kleidungsstücken anrufen, die bekleckert sind, als hätte eine Abendgesellschaft einen Ausflug auf eine Ölplattform unternommen, dann muß man vermuten, hier wird es gleich um die großen Lebensfragen gehen. Tod, Liebe, Treue, Gott zwischen Feuer und Metall, philosophisches Fieber soll uns peitschen. Doch schon zehn Minuten später wünscht man sich ein Zelt im Regen, um selbst Sophokles zu lesen. Denn dann hat man die ersten Auftritte hinter sich und bekommt einen steifen Nacken vor soviel tölpelhafter Erhabenheit.

Martin Feifel, der wegen eines Fußbruchs im Rollstuhl auftritt, ist eigentlich der einzige, der in dem Vater-Sohn-Streit Haemon/Kreon den Worten das ihnen gebührende Leben gibt. Nur ist sein Auftritt kurz und die unsichtbaren Behinderungen der übrigen Schauspieler sind hartnäckig. Kaum spricht Hellmann wieder ohne Herausforderung, fällt er zurück in unmusikalisches Aufsagen mit verschränkten Armen.

Hat nun Flimm seine Schauspieler einfach sträflich allein gelassen, oder wollte er irgendeinen schwer verständlichen Diskurs zwischen hölderlinscher Sprachberauschung und zeitgenössischer Plapperei aufmachen, der in der finsteren Farblosigkeit der Inszenierung leider nicht zu erkennen war? Die Antwort ist dieselbe wie oben. Und es ist eine höchst unproduktive, denn sie hinterläßt das Gefühl, daß diese Inszenierung vollständig überflüssig ist. Till Briegleb