Strampeln für das Fahrrad

Gesichter der Großstadt: Ulrike Saade, Geschäftsführerin des Verbunds Selbstverwalteter Fahrradbetriebe: Radfahrer nicht die besseren Menschen!  ■ Von Kirsten Niemann

So wie andere Leute das Rauchen aufgegeben haben, hörte Ulrike Saade von einem Tag auf den anderen mit dem Autofahren auf. Das war vor rund zwanzig Jahren, unmittelbar nach ihrem Umzug aus der Provinz nach Berlin. „Dabei habe ich das Autofahren echt geliebt“, gesteht die Geschäftsführerin des Verbunds Selbstverwalteter Fahrradbetriebe (VSF), die übrigens nicht einmal bis zu ihrer Volljährigkeit warten konnte und schon mit 17 ihren Führerschein gemacht hatte. „Doch als ich nach Berlin kam, war mir klar, daß ich vom Autofahren in der Stadt nur schlechte Laune bekomme.“ Verkehrsstau, Streß und Luftverschmutzung gingen Saade auf die Nerven. Also verkaufte sie ihren PKW, setzte von nun an lieber auf eigene Muskelkraft.

„Zunächst wollte ich einfach nur lernen, wie man einen Reifen flickt“, erklärt die zierliche Saade ihren Beitritt in das Schöneberger Fahrradladen-Kollektiv, das Fahrradbüro, der im Jahr 1980 erfolgte. Nachdem sie die wichtigsten Handgriffe parat hatte, folgten etliche Weiterbildungskurse zum Thema „Wie repariere ich mein Fahrad“ bis zur externen Zweiradmechanikerprüfung. Heute ist sie daher nicht nur in der Lage, Zweiräder jeder Art zu reparieren, sondern gibt ihr Wissen in Lehrgängen an andere weiter. Darüber hinaus kann sie sich rühmen, eines der besten Fahrzeuge der Stadt entwickelt zu haben: das taz-Rad.

Mit der Arbeit im Kollektiv meldete sich auch ein politisches Anliegen. „Wir von den Linken haben eigentlich nur geredet und nix getan. Mein Anspruch an mich selbst, endlich mal etwas zu lernen, war daher mehr als berechtigt.“ In dem trügerischen Bewußtsein, daß „Radfahrer die besseren Menschen“ seien, hing die Wahlberlinern ihren Beruf als Lehrerin an den Nagel und machte sich für holländische Verhältnisse auf deutschen Straßen stark. Es galt, das Fahrrad als wichtigstes und ernstzunehmendes Verkehrsmittel zu etablieren. Und daran arbeiten die 42jährige und der VSF, der sich 1985 gründete, auch heute noch.

Im Rahmen der gerade zu Ende gegangenen Internationalen Fahrrad- und Motorrad-Ausstellung (IFMA) in Köln vergab sie an den Kölner Versicherungskonzern Gerling das „Goldene Ritzel“. Eine Auszeichnung, zu der so mancher Kollektiv-Genosse von damals vielleicht den Kopf schütteln mag. „Wir vergeben alle zwei Jahre diese Trophäe an den fahrradfreundlichsten Arbeitgeber“, erläutert Saade diesen ungewöhnlichen Entschluß. „Und ich bin froh, daß ich in dem Gerling-Konzern einen stinknormalen Betrieb gefunden habe und nicht etwa irgendso ein Musterunternehmen aus der ökologischen Ecke.“ In der Tat – so fand Saade heraus – leiste die Kölner Firma einen erheblichen Beitrag zugunsten der radelnden Arbeitnehmer: die Gebühr auf den firmeneigenen Parkplätzen wurde um 40 Mark erhöht. Diese „betriebsinterne Ökosteuer“ sollen diejenigen Angestellten als Zuschuß erhalten, die Räder oder öffentliche Verkehrsmittel dem Auto vorziehen. Vorbildlich seien auch die videoüberwachten Zweirad-Abstellflächen sowie Duschen, Schließfächer und Umkleideräume für die durchgeschwitzten Radler.

Ihre Scheu davor, auf die Industrie einzuwirken, hat Ulrike Saade schon lange ad acta gelegt. Um Überzeugungsarbeit in Sachen Fahrradverkehr leisten zu können und etwas zu bewirken, müsse ein ständiger Dialog zwischen Herstellern, dem Handel und den Verbrauchern herrschen, ist die kleine Person mit ihrem hennaroten Wuschelkopf überzeugt. Denn in der Unfähigkeit zur Kommunikation und den Skrupeln vor Entscheidungen lägen schließlich auch die Schwächen des damaligen Kollektivgedankens, glaubt die Fahrradfreundin. „Wir haben uns für das Geldverdienen geschämt“, wundert sie sich heute noch über ihre damalige Einstellung. „Gleichzeitig haben wir uns als etwas Besseres gefühlt als die herkömmlichen Fahrradgeschäfte. Und Radfahrer in irgendeiner Form zu kritisieren, das war tabu“, beschreibt Saade die Situation der achtziger Jahre, „dabei gab es auch damals schon diese Rüpelradler.“ Auch über ihre Borniertheit gegenüber diesem Trend mit den Mountainbikes kann sie nur den Kopf schütteln: „Die Mountainbiker brachten auf einmal Massenbewußtsein in die Fahrradszene. Das fanden wir blöd. Zumal das Radfahren für uns immer so ein Arme-Leute-Ding war. Dabei hat das Mountainbike mit seiner teuren Technik das Fahrrad erst wieder gesellschaftsfähig gemacht.“

Heute sitzt Saade, die übrigens niemals unter 1.000 Mark in ihr Gefährt investieren würde, in der Jury eines Design-Wettbewerbs, der von der der Herstellerfirma Shimano ausgeschrieben wird. „Shimano hat sich um einiges gewandelt. Vor ein paar Jahren hat die Firma noch unser ,Rostiges Ritzel‘ erhalten für ihre miserable Fahrradteilpolitik.“ Doch obwohl sie ihr teures Rad liebt, wurde sie bislang noch nicht zum pedantischen Felgenputzer. „Ich pflege mein Rad nicht – ehrlich gestanden sieht es aus wie Sau!“