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: Urdeutsches Social Engineering

In einem Café in der Blissestraße gibt es einen Erfinder- Stammtisch. Wie auch auf den Erfindermessen geht es dort meist um Verbesserungen, nicht selten mit einem Hang zum Vertüftelten. Das Spektrum reicht von einer neuen Jalousie-Technik über Gummi-Ploppis zum Verschließen von Getränkedosen bis zum Fahrradanhänger, der sich als Zelt ausklappen läßt. Viele Erfindungen sind einem Ideal der Bequemlichkeit verpflichtet. Die große Anzahl von Erfindungen, die Behinderten das Leben erleichtern sollen, deutet bereits darauf hin, daß die Erfinder letztendlich sich selbst und uns alle für „behindert“ halten. So könnte z.B. eine Quarzuhr-gesteuerte beleuchtbare Pfeffermühle, die in teuren Geschenkeläden verkauft wird, Weihnachten zu einem Renner werden.

In diesem Zusammenhang sei an einige Erfindungen der im Juni 1996 aufgelösten AEG erinnert: Es beginnt 1889 mit dem Drehstrommotor, der Strom-Fernleitung und dem ersten Straßenbahnnetz (in Halle), es folgen die Schreibmaschine (Mignon), ein Dampfkraftwerk 1915, das Tonbandgerät, die erste elektronische Fernsehkamera (1936), eine Hochleistungslokomotive und ein Aufzeichnungsverfahren, aus dem dann – in Amerika – der Videorecorder entwickelt wird. Ähnlich unterverwertet blieb 1963 auch der Büro-Großcomputer (TR4), 1974 der erste integrierte Schaltkreis (als Chip in MOS-Technik) und der Tintenstrahldrucker (mit dem u.a. eine chinesische Schreibmaschine entwickelt wurde). Erfolgreich war noch das 1962 entwickelte PAL- Fernsehsystem, eine rechnergesteuerte Gepäckförderanlage und die 1978 von der Post in Betrieb genommene Briefverteilanlage mit vollautomatischem Adressenleser. Auch die Magnetbahntechnik wurde von einem AEG-Ingenieur entwickelt.

Was im Osten die Neuererbewegung war, geriet im Westen – bei Siemens beispielsweise – zur Ausfaltung des VV (Verbesserungs-Vorschlagswesens): mit speziellen „Q-Teams“ und „Q- Wochen“: „Durch solche Q-Aktionen verbesserte sich“, laut Siemens, „die VV-Statistik bis zu 80%“ – im Spandauer Siemens- Kabelwerk beispielsweise, das kurz vor der endgültigen Abwicklung steht.

Dort wurden jahrzehntelang die Mitarbeiter angestrengt und ununterbrochen „zu solidarischem Verbesserungs-Tun animiert“. Richtig funktionieren (sic!) konnte das VV wohl nur im Sozialismus: weil Rationalisierungsideen, mit denen sich Kosten einsparen ließen, dort nie zur Entlassung von Kollegen führten, sondern nur zur (rechnerischen) Stücklohn-Erhöhung. Um der Reduzierung der Lohnkosten – als angeblich wichtigstem Kostenfaktor im Kapitalismus – nicht auch noch selber zuzuarbeiten, neigen die Beschäftigten (bei Siemens z.B.) dazu, „Peanuts“ als VV einzureichen. Zum internen statistischen Wettbewerb zwischen Abteilungen und Belegschaften werden sie jedoch von den VV-Verantwortlichen aussortiert.

Nach der Wende wurde das VV bei Siemens vom KVP-Konzept (Kontinuierlichen Verbesserungsprozeß) abgelöst. Die professionellen Siemens-Verbesserer erfanden in den letzten Jahren u.a.: den Staubsauger „Super 2000 electronic“ – mit LED- Multifunktionsdisplay, mikroprozessorgesteuerter Saugkraftregulierung und fünf Leistungsstufen mit Memoryfunktion, per Fernbedienung zu steuern. Ferner die Siemens „Microwelle Plus“ – mit „vier Heizarten“ zum „vorprogrammieren ... statt vorkochen“.

Und der Siemens „Top-Line- Herd“ mit „Dialog-Electronic“ – für die „Push Button Generation“: er hat so viele Knöpfe wie ein CD-Player, schreibt Wolfgang Pause in „Wie viele Dinge braucht der Mensch?“. Laut Statistik sind es für jeden Bundesbürger durchschnittlich 10.000! Da kommt es auf ein paar „bahnbrechende“ Siemens-Verbesserungen mehr oder weniger auch nicht mehr an! Helmut Höge

wird fortgesetzt