Bei der Wahl des Ortes verhoben

Debatte: Soll der Platz der Republik zum Willy-Brandt-Platz werden? Nein, der jetzige Name ist die letzte Erinnerung an Weimarer Zeiten und schlägt einen Bogen zur neuen Berliner Republik, meint  ■ Max Welch Guerra

Mit der Idee, den „Platz der Republik“ vor dem Reichstagsgebäude in Willy-Brandt-Platz umzubenennen, gelang der Berliner SPD in den letzten Tagen eine seltene Überraschung. Der Vorschlag erhielt Unterstützung von Vertretern aller Parteien. Dabei betrifft er nichts Geringeres als den wichtigsten Platz in der Staatssymbolik der entstehenden Hauptstadt der Berliner Republik.

Wenn der Platz zur Einweihung des neuen Regierungsviertels dereinst den Namen Willy Brandts erhalten sollte, hätten die Sozialdemokraten einen großen Erfolg zu feiern. Die Umbenennung würde zeigen, daß auch sie eine Figur im imaginären Pantheon großer Männer bundesrepublikanischer Geschichte aufstellen können: ein Willy Brandt neben dem bereits mystifizierten Konrad Adenauer.

Ist die Zustimmung der CDU noch überraschend, darf die Zustimmung von Grünen und PDS- Mitgliedern gewiß als freundliche Geste an die SPD im Hinblick auf gewünschte Koalitionsbildungen gesehen werden. Die Zustimmung ist aber auch als eine spontane Reaktion auf die deutschnationale Färbung der Welle von Straßenumbenennungen in den letzten Jahren verständlich. Endlich solle neben den vielen Hindenburgs und Bismarcks im Straßenbild auch einer vorkommen, dessen Name für Frieden und Reformen steht. Ein Deutscher käme zu Ehren, der gegen Hitler gekämpft hat, der für seine Versöhnungspolitik gen Osten soviel internationale Anerkennung erhielt wie kein anderer deutscher Nachkriegspolitiker, der schließlich sogar mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde.

Für den Vorschlag, in der neugestalteten Hauptstadt eine herausgehobene Straße oder einen zentralen Platz nach Willy Brandt zu nennen, lassen sich in der Tat gewichtige Gründe finden. Die SPD hat sich allerdings bei der Wahl des vorgeschlagenen Ortes gelinde gesagt verhoben. Der Platz der Republik, daß zeigt seine Geschichte, auch die Geschichte seiner Namensgebung, verträgt eine solche Umbenennung nicht.

Im Jahr 1864 erhielt der außerhalb der Stadtmauer gelegene „Exerzierplatz vor dem Brandenburger Thor“ den Namen „Königsplatz“. Der preußische Monarch, der gerade nach der Kaiserkrone griff, sollte angemessen verherrlicht werden. Die Reichsgründung 1871 brachte dem König den Kaisertitel und dem Platz eine wichtige stadträumliche und auch symbolische Aufwertung. 1894 wurde der Reichstag am Königsplatz durch den Kaiser feierlich eröffnet. Zweieinhalb Jahrzehnte später, der letzte Kaiser war gerade vertrieben worden, rief Philipp Scheidemann, ein Sozialdemokrat, just an diesem Ort die erste deutsche Republik aus. Diese Weimarer Republik ist zuallererst das Werk der Sozialdemokratie.

Angesichts der zurückhaltenden, sparsamen Selbstdarstellung der Weimarer Republik erhält die 1926 stattgefundene Umbenennung des Königsplatzes ein besonderes Gewicht. Gewählt wurde nicht etwa der Name des ein Jahr zuvor verstorbenen sozialdemokratischen Gründungspräsidenten Ebert, sondern die nüchtern klingende Bezeichnung „Platz der Republik“. „Republik“ statt „König“ oder vielleicht „Friedrich Ebert“ – diese Entscheidung ist keine Nachlässigkeit. Eine solche Namensgebung beinhaltet ein ganz anderes Bedeutungsprogrammm: Nicht eine Person wird gefeiert, sondern eine Staatsform. Diese Versachlichung soll eine Demokratisierung politischer Herrschaft ausdrücken und fördern. Ein Willy-Brandt- Platz ist ein Platz der res publica, ist ein Platz der Sache aller.

Noch im März 1933 haben die Nazis den Platz in „Königsplatz“ zurückbenannt. Später wollten sie ihn in den wesentlich größeren Platz vor der gigantischen Großen Halle aufgehen lassen. Erst 1948 erhielt der Platz vor dem Reichstag seinen heutigen Namen zurück.

Der Name Platz der Republik ist mithin der letzte Akt der Hauptstadtplanung der Weimarer Republik, der noch heute im Stadtraum vorhanden ist. Und er ist von hervorgehobener Bedeutung: Er symbolisiert das Vorhaben, Obrigkeitsstaat und Machtverherrlichung zu überwinden. Der Name Platz der Republik stellt klar, daß wir alle darauf gehören. Kein Personenname, auch nicht der Willy Brandts, kann diese Bedeutung ersetzen. Wichtig wird dies spätestens, wenn der Bundestag seinen Sitz an der Ostkante des Platzes eigenommen haben wird.

Stärker noch als die Idee selbst, dem Platz vor dem Reichstag den Namen „Platz der Republik“ wegzunehmen, zeigt die schnelle Zustimmung für diese Idee, wie eindimensional und geschichtsvergessen wichtige Fragen der Hauptstadtplanung in der Landespolitik betrachtet und behandelt werden.

Der Vorstoß der SPD erinnert uns allerdings auch daran, daß die symbolische Ausstattung und Nutzung der Hauptstadt der Berliner Republik teilweise noch offen ist, gerade im Bereich des Spreebogens. Wie streng beispielsweise wird die Bannmeile wirken? Ein breites Spektrum von Politikern und Fachleuten hat zudem vor einigen Monaten vorgeschlagen, auf dem Platz der Republik das Holocaust-Denkmal zu errichten.

Die Ideen und Konflikte um die Benennung, Gestaltung und Nutzung wichtiger Orte in Berlin dürfte sich mit dem Herannahen des Umzugs von Regierung und Parlament in absehbarer Zeit häufen. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die Diskussion darüber nicht den Gefangenen der Tagespolitik überlassen bliebe.

Der Autor ist Stadtforscher am Institut für Stadt- und Regionalplanung der Technischen Universität