Der Gorbatschow der Weltbank

Weltbankpräsident James Wolfensohn versucht, eine Kulturrevolution in der Weltbank anzuzetteln. Doch zwischen seinen Worten und den Taten der Bank liegen Welten  ■ Aus Washington Nicola Liebert

„Unsere Mission: unseren Kunden zu dienen“, verkündet ein Plakat in einem Büro der Weltbank in Washington. „Wir verpflichten uns, Dienstleistungen höchster Qualität zu liefern“, stachelt ein anderes die Mitarbeiter an.

Seit James D. Wolfensohn vor 17 Monaten das Amt als Präsident der Weltbank übernahm, weht den knapp 10.000 Bankmitarbeitern ein anderer Wind um die Nase. Eine „ergebnisorientierte Kultur“ in der schwerfälligen Organisation einzuführen gehört seit seinem Amtsantritt zu seinen Prioritäten. Die Kulturrevolution wird den Mitarbeitern beispielsweise durch ein internes Informationsblatt, „The Change Bulletin“ genannt, eingebleut. „Die Bank muß ihre Werte ändern“, schreibt Wolfensohn darin, „von Arroganz zu Zuhören, von Paternalismus zu Professionalismus.“

Wolfensohn kam an die Spitze der Weltbank kurz nach deren 50. Geburtstag, zu einem Zeitpunkt, als die Kritik an der Politik der Institution in der Kampagne „50 Jahre sind genug“ kulminierte. Von links, von den zahlreichen regierungsunabhängigen Organisationen (NGOs) in Nord und Süd, kamen schwere und gut belegte Vorwürfe, daß die Bank die Armut in den Entwicklungsländern eher verschärfe als lindere und daß die Umweltauswirkungen der Bankprojekte nicht mehr hinnehmbar seien. Von rechts hieß es, daß die privaten Investitionen in den Entwicklungsländern, die sich seit 1990 vervierfacht haben, die Weltbankhilfe überflüssig machen würden.

Geschickt parierte der ehemalige Olympiafechter Wolfensohn die Angriffe aus beiden Richtungen. Er öffnete erstmals die Türen für die bislang als Feinde behandelten NGOs, und er lancierte zur Armutsbekämpfung eine Entschuldungsinitiative. Zugleich fördert der frühere Investmentbanker selbst nach Kräften den Fluß privaten Kapitals in die Entwicklungsländer. Die Weltbanktochter IFC, die private Investitionen finanziert, ist der am schnellsten wachsende Teil der Weltbankgruppe.

Nicht nur nach außen, sondern in allererster Linie nach innen richtet sich Wolfensohns Reformeifer. So versuchte er, die von ihm gewünschte „ergebnisorientierte Kultur“ dadurch zu erreichen, daß erstmals nun die Karriere von Mitarbeitern nicht von der Zahl der bewilligten Kredite abhängt, sondern davon, ob die Projekte ihr Ziel erreichen. Auch die Kontakte zu den „Kunden“ verbessern zu wollen meint er ernst. Die ersten Länderdirektoren mußten bereits ihren Schreibtisch in Washington gegen einen im jeweiligen Empfängerland eintauschen.

Ob diese Reformen ihren Zweck erfüllen, muß sich allerdings noch zeigen. Weltbankkritiker Bruce Rich von der US-Organisation Environmental Defense Fund vermutet, daß sich das stärkere Eingehen auf die Kunden – Regierungen und zunehmend auch Privatunternehmen – und eine bessere Projektqualität gegenseitig ausschließen. Denn oft genug habe die Bank gemeinsam mit prestigesüchtigen, diktatorischen Regierungen umweltschädliche und sozial fragwürdige Projekte finanziert. Wenn Rich eine Bilanz der bisherigen Reformen zieht, kommt er zu dem Schluß: „Die Projekte sind so schlecht wie eh und je.“

Obwohl seine Schuldeninitiative tatsächlich vorletzte Woche auf der Jahrestagung von IWF und Weltbank in die Gänge gebracht wurde, steht Wolfensohn inzwischen nicht mehr als der Strahlemann da, als der er sich noch im vergangenen Jahr präsentierte. Die Schuld sieht er jedoch nicht bei sich.

Er stehe vor einer „gläsernen Wand“, hatte der Weltbankpräsident vor einem halben Jahr vor 300 seiner Manager geklagt. Er bezichtigte sie des „Zynismus und Mißtrauens“ sowie mangelnden Teamgeistes. „Ich weiß nicht, was wir noch tun können, um eine Änderung in dieser Institution zu bewirken“, brach es aus ihm hervor. „Ich weiß wirklich nicht mehr, was ich tun soll. Ich bitte Sie nur inständig, darüber nachzudenken.“

Doch genau das wollen viele Weltbank-Manager nicht. Sie haben die Gruppentherapie satt, haben es satt, etwa im weltbankinternen „Change Bulletin“ als arrogant, paternalistisch, nach innen gewandt, risikoscheu und sogar Furcht verbreitend geschmäht zu werden. Ihrem Präsidenten werfen sie seine allzu direkte Art vor. Er sei egoistisch, ein Selbstdarsteller, der Erfolge nicht teilen könne. Über Reformen zu reden sei eben eine Sache, urteilte die britische Zeitschrift Economist — sie durchzuführen eine andere.

„Beurteilen Sie mich nach einem Jahr“, hatte der damals noch neue Präsident bei der Jahresversammlung 1995 gesagt. Ein Jahr später saß er sichtlich abgekämpft, an nervositätsbedingen Gesichtslähmungen leidend, auf dem Podium. Viele konkrete Erfolge kann er nicht vorweisen.

Die Entwicklungsorganisation Oxfam hat ihm in einem Zeugnis zwar eine Zwei plus gegeben für seine Bemühungen um eine Entschuldung der ärmsten Länder. Eine Zwei bekam er für die verbesserte Beteiligung von NGOs und immerhin noch eine Zwei minus für die stärkere Berücksichtigung von Frauen. So hat Wolfensohn eine ganze Reihe von Frauen in führende Positionen innerhalb der Weltbank berufen. „Frauen werden jetzt öfter erwähnt, doch hat die Bank noch keinen Rahmen gefunden, in dem sie diese Politik in konkretes Handeln umsetzt“, schreibt Oxfam.

Schlechte Noten erhält der Weltbankpräsident jedoch bei der Armutsbekämpfung. „Soziale Ungerechtigkeit kann den wirtschaftlichen und politischen Fortschritt zunichte machen“, hatte Wolfensohn in seiner Rede vor der letztjährigen Hauptversammlung festgestellt. Trotz der Absichtserklärungen für einen verbesserten Zugang der Armen zu medizinischer Grundversorgung und Bildung zwingt die Bank Regierungen immer wieder, für diese Versorgung Gebühren zu erheben.

Strukturanpassungsprogramme für die verschuldeten Länder werden weiterhin mit dem alleinigen Ziel Wachstumssteigerung formuliert. Soziale Fragen wie der Zugang zu Land oder zu Krediten spielen keine Rolle — kein Wunder, beträgt doch das zahlenmäßige Verhältnis von Wirtschafts- zu Sozialwissenschaftlern in der Bank 28:1.

Die deutschen NGOs Urgewald und WEED belegen das schlechte Abschneiden der Weltbank im sozialen Bereich mit einem internen Bericht der bankeigenen Evaluierungsabteilung. Sie stufte ein Drittel der Weltbankprojekte als mangelhaft ein. Daten über Einkommensverteilung, Armut und Wachstumsindikatoren, anhand derer der Erfolg der Programme gemessen werden könnte, lagen nur für 23 von 53 untersuchten Ländern vor. Von den 23 hat in 19 Fällen die Armut nicht ab- und teilweise sogar noch zugenommen.

In seiner Rede vor der Jahresversammlung versprach Wolfensohn zwar ein neues „Entwicklungsparadigma“. Entwicklung könne nicht länger nur nach ökonomischen Kriterien gemessen werden, sondern müsse soziale, kulturelle und institutionelle Probleme mit einbeziehen, um tragfähig zu werden. Dazu hat er inzwischen auch schon eine Arbeitsgruppe gebildet. Doch völlig unerwähnt läßt Wolfensohn ein ums andere Mal dabei die Umwelt.

Im vergangenen Jahr hatte er zwar ein wichtiges Zeichen gesetzt, als er die Weltbankhilfe für den umstrittenen Arun-Staudamm in Nepal einstellte. Doch zugleich gibt es Signale in die andere Richtung. So wurden zahlreiche Umweltrichtlinien der Bank zu bloßen unverbindlichen Empfehlungen herabgestuft. Welche Vorgaben überhaupt verbindlich sind, wissen offenkundig auch Weltbankmitarbeiter nicht, denn überall erhält man unterschiedliche Auskünfte darüber.

Strukturanpassungsprogramme werden immer noch ohne Prüfung der Umweltauswirkungen umgesetzt. Zwar werden für viele Einzelprojekte mittlerweile Umweltverträglichkeitsprüfungen durchgeführt. Doch die Evaluierungsabteilung der Bank kommt in einer nicht veröffentlichten Studie, die der taz vorliegt, zu dem Schluß, daß diese Prüfungen Augenwischerei sind. Die Ergebnisse würden nicht angemessen in die Projekte eingearbeitet. Umweltprüfungen erfolgten ohnehin erst zu einem Zeitpunkt, an dem die Weichen bereits alle gestellt seien. Alternativen zur geplanten Investition würden gar nicht erst erwogen. Zudem kommt die Evaluierungsabteilung zu dem Schluß, „daß Umweltverträglichkeitsprüfungen oft von den Projektmitarbeitern nicht verstanden werden“. In vielen Fällen lägen die Unterlagen nicht einmal in den für ein Projekt zuständigen Büros vor.

Auch die Umweltabteilung der Bank selbst scheint nicht viel von den eigenen Vorgaben zu halten. Ein Mitarbeiter sagte offen im Gespräch mit NGO-Vertretern, daß man sich ohnehin nicht an die Waldrichtlinien halte, die besagen, daß keine Kredite für Abholzungsprojekte vergeben werden sollen.

Und der stellvertretende Leiter der Umweltabteilung, Ken Newcombe, schrieb in einem internen Memo über die Waldrichtlinien sogar: „Die bestehende Bankpolitik ist absurd.“ Der Umweltverband WWF hatte bei einer Untersuchung von 56 Krediten, die die Weltbank 1996 für Energieprojekte plant, festgestellt, daß nur drei davon völlig mit den Vorgaben der Bank für Energieeffizienz übereinstimmten.

Ob Wolfensohn eine Chance hat, hier etwas zu ändern, das jedenfalls bezweifelt Heffa Schücking, die Vorsitzende der umwelt- und entwicklungspolitischen Organisation Urgewald. „Ich glaube nicht an die Reformen. Jedes Jahr, auch schon vor Wolfensohns Zeit, dieselben Versprechungen der Bank: Wir werden uns ändern. Aber grundlegend geändert hat sich nichts.“

Bruce Rich vom Environmental Defense Fund meint, Wolfensohn versuche für die Weltbank zu sein, was Gorbatschow für die Sowjetunion war. Und er fügt mahnend an, daß Gorbatschow zwar ein großer Reformer war, nur eben gab es danach das Objekt der Reformen, die Sowjetunion, nicht mehr.