■ Querspalte: Vrindavan statt Rinderwahn
Was machen eigentlich die Erben Bhagwans? Der ehemalige Betreiber eines Rolls-Royce-Autosalons in Poona starb 1990. Noch heute soll es laut Spiegel eine halbe Million Sannyasins auf der immer noch nicht voll erleuchteten Erdkugel geben. Unvergessen die Besuche in „Far Out“-Diskotheken, wo einem Beseelte das Handgelenk verdrehten, wenn sie einem den Schlachtviehstempel in die Hand pressen wollten. Warum sie die Hände nur außen stempelten? Um die Armlehnen der weißen Lederfreischwinger vor Farbe zu schützen. Nicht nur dem Freiburger „Far Out“ verliehen die Wippsessel den heimeligen Touch meditativer Gehirnwäsche.
Noch immer trifft man geschäftstüchtige Swamis und Sannys. Im S-Bahnhof Friedrichstraße, der gerade rumpelnd zur Shoppingzone umgebaut wird, lächelte mich ein weißgekleidetes, mit Holzketten behangenes Mädchen an: „Willst du eine Zeitung kaufen, den Preis kannst du selbst bestimmen!“ Schon schlug sie das kleine Heft auf, „ein vegetarisches Kochbuch“, auf dem vorn 2,50 Mark stand, und hielt es mir vor die Augen: „Statt Rinderwahn nach Vrindavan“ lautete eine Überschrift. Ich gab ihr zwei Mark und kaufte noch eine Pizzazunge und eine Dose Bier. Gleich im Vorwort machte Swami B. V. Vaishnava klar, daß ich gerade der Schöpfung Unrecht tat. Sri Vrindavan sei ein expandierender Tempelort in Indien. Da sei Entsagung (Sannyas) vor allem von der Fleischeslust angesagt. Und ich kaute gerade freiwillig auf winzigen Stücken Schinkenspeck meiner Pizzazunge! War das nicht Fleisch? „Plötzlich kreuzt ein Eichhörnchen Ihren Weg“ – unwahrscheinlich in dieser Gegend, aber wer weiß – „spüren sie da nicht ganz natürlich Harmonie?“ Klar. Traurig starrte ich auf den labberigen Teig: „Der Fleischkonsum ist für den Menschen völlig unnatürlich, steht er doch im Widerspruch zu seinem natürlichen Mitgefühl.“ Schnell schüttete ich mein Bier herunter und wollte dem Mädchen zurufen: Komm mit mir nach Vrindavan! Aber es war schon fort. Andreas Becker
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen