■ Auf ihrem Strategiekongreß in Hannover bekräftigen die Bündnisgrünen ihren Willen zur Macht. Ein Rot-Grün-Bündnis sei 1998 die Alternative zu Kohl.
: Symbole des Wandels

Auf ihrem Strategiekongreß in Hannover bekräftigen die Bündnisgrünen ihren Willen zur Macht. Ein Rot-Grün-Bündnis sei 1998 die Alternative zu Kohl.

Symbole des Wandels

Halb im Armstuhl versunken, beide Hände vors Gesicht geschlagen macht der Mann den Eindruck, daß er überall lieber wäre, als auf jenem Platz, auf den ihn die Parteiräson an diesem Samstag nachmittag genötigt hat. Und daß die Frau neben ihm seiner Partei, den Bündnisgrünen, vorhält, „den Diskurs, den das neoliberale Projekt vorgibt“ zu akzeptieren, daß sie davor warnt, sich die Köpfe der Unternehmer zu zerbrechen, scheint Joschka Fischers Leiden ins kaum ermeßliche zu steigern. Der Blick, mit dem er zwischen den gespreizten Fingern Frigga Haugs Kopf von hinten taxiert, als die Herausgeberin der „Argumente“ die Parole rausgibt, „wir haben zuviel Arbeit“ in Deutschland, läßt wenig Zweifel daran, welche Wertschätzung er dessen Inhalt entgegenbringt.

Haug beendet ihr Referat mit der Forderung, „aus Verantwortung für die Zukunft“ in den Gesellschaftsvertrag einen Geschlechtervertrag einzubringen. Doch damit ist die Geduldsprobe für den Vorsitzenden der Bundestagsfraktion noch nicht beendet. Denn das Podium, mit dem am Samstag der Kongreß von Bündnis 90/Die Grünen zu den „Perspektiven grüner Wirtschafts- und Sozialpolitik“ eröffnet wird, ist noch mit einem weiteren Professor besetzt, der die Kongreßdevise der Parteisprecherin Krista Sager, „Visionen und Konzepte“, vor allem in ihrem ersten Teil erfüllt. Der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik überrascht das fünfhundertköpfige Auditorium mit der Aufforderung, wieder über Kommunismus zu diskutieren. Er verbindet diese Erwartung mit einer Absage an den rheinischen Kapitalismus: Dieser werde keine Wege in die Zukunft weisen.

Nun ist der rheinische Kapitalismus das Sozialstaatsmodell, das sich Joschka Fischer auf die Fahnen geschrieben hat, dem er einen drohenden deutschen Thatcherismus entgegenhält und um das er eine ideelle Verteidigungslinie aufbaut, die bis weit in das Regierungslager reicht. Diese Linie ist in der Partei nicht unumstritten: Trittin sieht auch den rheinischen Kapitalismus in der Globalisierung untergehen. Auch in den Augen des parlamentarischen Geschäftsführers Werner Schulz, dem Realolager zuzurechnen, taugt er nicht mehr als Leitbild, es bedürfe der ökologischen Renovierung. Zur Debatte über diese Differenzen kommt es auf dem Kongreß nicht.

Fischer dient sein Leitbild, um die in seinen Augen wahlentscheidende „Hegemonie über die Mittelschichten“ zu erringen. Ein Signal in diese Bereiche hatten sich die Realpolitiker in der Partei auch von dem Strategiekongreß erwartet. Ralf Dahrendorf und der ehemalige BDI-Präsident Till Necker waren als Podiumsteilnehmer im Gespräch gewesen. Mancher Absage folgte die Ausrichtung der Diskussionsrunden nach dem Gesichtspunkt parteiinterner Ausgewogenheit. Grund für den parlamentarischen Geschäftsführer Werner Schulz die mangelnde Attraktivität des Kongresses zu beklagen. Es war diese, wie manche Realos meinten, vertane Chance, die Fischers Interesse an der Debatte von vornherein dämpfte, die ihn unwirsch über die „sozialdemokratische Universalisierung“ des Arbeitskonzeptes einer Frigga Haug höhnen und über die Erfolgsträchtigkeit des Zukunftsmodells Kommunismus spotten läßt. Letzteres sei der sichere Garant, das Wahlergebnis 1998 nicht nur im Osten, sondern auch im Westen unter fünf Prozent zu drücken.

Auf die Machtfrage konzentrieren

Daß Haug ihm einen haarsträubenden Diskussionsstil bescheinigt, wischt er beiseite. Für ihn spitzt sich die Diskussion vor allem auf eines zu: „Bis 1998 soll man sich auf die Machtfrage konzentrieren“. Doch darüber läßt sich kein Konsens herstellen. Fischer verläßt die Veranstaltung noch vor Ablauf der Debatte. Er hätte, so war von ihm schon vorab zu hören, den Samstag nachmittag lieber fußballspielend verbracht.

So ist er nicht mehr zugegen, als am Abend seine Fraktionssprecherkollegin Kerstin Müller und Parteisprecher Jürgen Trittin sich von ihrer Seite, der linken, der Machtfrage nähern. Die beiden loten in einer zweiten Podiumsdiskussion zusammen mit dem ÖTV- Vorsitzenden Herbert Mai, dem sachsen-anhaltinischen Ministerpräsidenten Reinhardt Höppner und dem Präsidenten des sächsischen Landesverbandes des Unternehmerrates Jochen Leonhardt „Bündnis- und Handlungsperspektiven“ aus. Mit Höppner ist erstmals ein prominenter Sozialdemokrat Gast auf einem solchen Grünen-Kongreß und auch die Anwesenheit Leonhardts ist alles andere als Ausdruck einer gewohnten Allianz.

Für Kerstin Müller ist dieses Podium ein „Symbol für Wandel“, bisher habe sich die Opposition noch nicht gefunden. Auf diesen Wandel zielt denn auch ihre erste Frage, ihre Machtfrage, die sie an Höppner richtet: Wie denn die SPD 1998 mit einer Roten-Socken- Kampagne umgehen werde, ob es womöglich „ein Rot-Rot“, also eine SPD-PDS Koalition, geben werde. Höppner antwortet mit der „elementaren Gemeinsamkeit“ zwischen Grünen und SPD, „daß Kohl abgelöst wird“.

Keine Chance für eine rot-rote Koalition

Und während zur gleichen Zeit der Physiker und SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine auf dem Landesparteitag in Saarbrücken einem Koalitionswahlkampf eine klare Absage erteilt und seine Genossen ermahnt, es ihm gleichzutun, beharrt Höppner darauf, daß er Mathematiker sei und wisse, daß es für den Regierungswechsel andere Mehrheiten brauche und diese Mehrheiten anders nicht zu sehen seien. Einer PDS-gestützten Mehrheit im Bund erteilt er eine Absage, doch läßt er keinen Zweifel daran, daß in dieser Frage zwischen Bundes- und Landespolitik ein Unterschied besteht.

Auch Mai sieht Gemeinsamkeiten, eine andere Mehrheit in Bonn zu erreichen. Allerdings formuliert er zugleich die „Nahtstelle der Differenz“: Er habe nicht den Eindruck, „daß wir die Bürger mit unseren Forderungen erreicht haben“. Er will sie mit einer „Politik der sozialen Gerechtigkeit“ erreichen, für die die Stichworte Arbeitszeitverkürzung ohne vollen Lohnausgleich, Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Ost und West und Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau stehen. Dafür brauche es nicht nur Bündnispartner, sondern eine breite soziale Bewegung. Trittin nimmt den Ball auf, redet vom relativ breiten Konsens zwischen den Diskutanten und der Notwendigkeit, „das Reformprojekt offensiv in die Gesellschaft hineinzutragen“ – und widmet sich sodann dem „Gegner, den man nicht unterschätzen dürfe“. Es gebe „beachtliche Kräfte, die wollen eine andere Republik“. Warum so viele Bürger ihnen darin folgen, bleibt offen.

Auch Trittin hat an diesem Tag einen Moment, in dem er sein Gesicht in den Händen verbirgt. Als der Unternehmervertreter Leonhardt die Forderung nach sicheren Rahmenbedingungen für den Mittelstand erhebt, können ihm seine Koreferenten noch zustimmen. Doch als er „keinen Abbau, aber Modernisierung des Sozialstaates fordert“, sieht sich Müller zur Nachfrage veranlaßt. Die ABM Maßnahmen, so sie keine marktgängigen Preise verlangten, präzisiert Leonhardt, gefährdeten Betriebe. Der Einwurf bleibt, wohl um keinen Schatten auf das frische Bündnis mit dem Wirtschaftsvertreter fallen zu lassen, an diesem Abend unbeantwortet. Dieter Rulff, Hannover