Zuwenig Zukunft

■ Viel Einheit, wenig Streit beim grünen Kongreß

Als Krista Sager im letzten Jahr für ein neues Grundsatzprogramm von Bündnis 90/Die Grünen eintrat, wurde sie von der Parteimehrheit noch mild belächelt. Dies sei eher etwas für Kirchentage, befand ihr Co-Sprecher Jürgen Trittin.

Krista Sager hat der Hannoveraner Strategiekongreß im nachhinein recht gegeben. Kaum ein Grundwert der Bündnisgrünen, der noch unhinterfragt ist; nur wenige Positionen, die nicht durch die aktuelle Entwicklung einer Veränderung unterworfen werden; keine Perspektive, die parteiintern unumstritten wäre. Nachhaltiges Wirtschaften und/oder Wachstumswirtschaft, soziale Sicherung und/oder Haushaltssicherung, Standortpolitik als Strukturförderung und/oder Arbeitsplatzpolitik. Es gibt kein Entweder/ Oder, kein Schwarz/Weiß mehr. Darin unterscheidet sich die aktuelle Debatte der Grünen von manch früherer. Und auch der kränkende Ton vergangener Diskussionen ist verschwunden.

Antworten auf so schwierige Fragen brauchen Zeit, die zunehmend knapper wird, je näher die Wahl 1998 rückt. Denn um diese Wahl zu bestehen, brauchen die Grünen ein Leitmodell, einen fest umrissenen Entwurf, mit dem sie Mehrheiten ansprechen können. So groß die gemeinsame Einsicht in die Komplexität der Probleme ist, so klar wird die Differenz sein, die in dieser Debatte über das Leitbild zum Ausdruck kommen wird. Ist die demokratische Linke, also SPD und Grüne, der einzige Ausgangspunkt taktischer Überlegung? Gilt es den rheinischen Kapitalismus zu bewahren, und damit programmatisch die gesellschaftliche Mitte bis hinein in die CDU zu besetzen, oder eine klare Linie entlang der Parteilager zu formulieren?

Differenzen über diese Varianten klangen in Hannover manchmal durch – diskutiert wurden sie nicht. Das mag dem Frieden der Veranstaltung genützt haben. Weniger dienlich war die allzu starke Beschränkung der Diskussion auf den traditionellen Mainstream der Partei. Was die Bündnisgrünen in fünf oder gar zehn Jahren umtreiben wird, welchen gesellschaftlichen Veränderungen und Verwerfungen sie ausgesetzt sein könnten, davon wurde wenig Eindruck vermittelt. Zuwenig für einen Strategiekongreß, zuwenig für eine Partei, die auf die Zukunft setzt. Dieter Rulff