Glückspilze Von Mathias Bröckers

„Ein Männlein steht im Walde, ganz still und stumm, es hat von lauter Purpur ein Mäntlein um...“ Wer jetzt im Wald spazierengeht, wird sie leicht finden, vor allem unter Birken, aber auch unter anderen Bäumen: die Fliegenpilze. Die Mythen und Märchen sind voll von diesen putzigen „Männlein“, ihr unverwechselbares Äußeres stellt das Piktogramm für Pilze schlechthin dar; doch gleichzeitig gelten sie als giftig, lebensgefährlich und sogar tödlich. Diese lange Geschichte und das freundliche Image einerseits und die tödliche Vergiftungsgefahr andererseits scheinen so gar nicht zueinander zu passen. Warum wird uns der Pilz in den Märchen als freundlicher, zauberhafter Geselle präsentiert? Warum ziert sein Hut noch unsere Kinderkarussells, wenn es sich doch um eine bedrohliche, lebensgefährliche Pflanze handelt?

Der Widerspruch klärt sich auf dem Hintergrund, daß es sich bei diesen so beiläufig am Waldesrand wachsenden Pilzen um nicht weniger als um „Soma“, die archaische Götterspeise, handelt, um den Anfang der Religion, den Stein der Weisen, den Heiligen Gral. Als „göttliche Pilze der Unsterblichkeit“ hat der Mykologe Gordon Wasson die Fliegenpilze (Amanita muscarica und Amanita pantherina) beschrieben und ihre mindestens 6.000jährige Nutzungsgeschichte vom sibirischen Schamanismus über die indischen Religionen bis in die Neuzeiten aufgezeigt. Am Anfang der Metaphysik stand ein Pilztrip. Die psychoaktiven Wirkstoffe wirkten in den Gehirnen der Frühzeitmenschen wie heute die Satellitenschüsseln auf den Dächern: plötzlich empfingen sie völlig neue Programme. Von Göttern, Naturgeistern, sprechenden Wassern. Die Pilze sprachen (von wegen „still und stumm“), und die Menschen nutzten diesen Kommunikationsdraht zum Übernatürlichen. Solange, bis die patriarchalischen Gesellschaften den monotheistischen Ein-Gott-Kanal einführten und die Vielfalt der Pilzprogramme für illegal, heidnisch, dämonisch erklärten. Und sie in diesem Zusammenhang dann gleich auch noch giftig, lebensgefährlich, tödlich machten.

Daß sie so bis heute in den meisten Pilzführern vermerkt sind, verdankt sich weniger ihrer Toxizität („Sie sind definitiv nicht tödlich und, richtig dosiert genommen, ungefährlich“, so der Amanita-Experte Dr. Jonathan Ott), sondern eher dem Papst. Daß Sammler, die Fliegenpilze aus Versehen in ihrem Pilzgulasch verspeisen, statt Himmelserfahrungen immer wieder Höllenängste ausstehen, hat vor allem damit zu tun, daß sie die Wahrnehmungsveränderungen als Todesvorboten interpretieren. Sie glauben an eine tödliche Vergiftung und geraten unnötig in Panik. Dabei handelt es sich bei Amanita doch auch um „Glückspilze“...

Ein wunderbares Buch über die weltbewegende Rolle psychoaktiver Pilze beim Entstehen von Kulturen und Religionen ist endlich auf Deutsch erschienen (Terrence McKenna: „Speisen der Götter“, Verlag Medienexperiemente). Zwar favorisiert McKenna als Auslöser der frühmenschlichen Bewußtseinsrevolution eher einen Cousin des Fliegenpilzes, den Spitzkegeligen Kahlkopf, doch dessen Wirkstoff Psylocibin ist dem von Amanita ähnlich. Die Wirkung – Himmel oder Hölle – hängt immer entscheidend von dem ab, was wir erwarten. Am besten das Unerwartete.