Versöhnungserklärung spaltet Politiker erneut

■ Deklaration mit Deutschland in Prag weiter strittig. Senatswahlen stehen an

Prag (taz) – „Wie ein Zombie taucht das Thema der deutsch- tschechischen Deklaration von Zeit zu Zeit aus dem Nichts auf. Doch während in US-Spielfilmen bereits im Drehbuch festgelegt wird, wie man einen solchen liquidiert, ist das Drehbuch für die deutsch-tschechische Deklaration noch in weiter Ferne“, kommentierte die liberal-konservative Tageszeitung Lidové noviny. Seit Donnerstag vergangener Woche ist in Prag der Streit über die deutsch-tschechische Erklärung wieder entbrannt.

Auslöser war ein Treffen führender tschechischer Politiker bei Präsident Václav Havel, bei dem Außenminister Josef Zieleniec den bisher mit der deutschen Seite ausgehandelten Text erstmals vorstellte. Und eigentlich hätten Premier Václav Klaus, der Vorsitzende der christlich-demokratischen Volksunion KDU-CSL, Josef Lux, und der der demokratischen Bürgerallianz ODA, Jan Kalvoda, sowie der Chef der Sozialdemokraten und Parlamentspräsident Milos Zeman dem Text zustimmen und damit Konsens demonstrieren sollen. Doch dann kam alles anders: „Wir haben den Text dem Außenminister zur Überarbeitung und zu weiteren Verhandlungen mit der deutschen Seite zurückgegeben“, faßte der Christdemokrat Lux das unerwartete Ergebnis der dreistündigen Verhandlungen zusammen.

Zudem soll es zu ernsthaften Disputen gekommen sein: Laut einem Bericht der linksorientierten Tageszeitung Právo soll Premier Klaus seinen Koalitionspartnern und Präsident Havel eine der deutschen Seite allzu entgegenkommende Haltung vorgeworfen haben und gedroht haben, das Treffen zu verlassen. Doch worüber man sich genau gestritten hatte, wollte keiner der Beteiligten sagen.

In den Medien wird gemunkelt, daß der Stein des Anstoßes ein Wort sein soll: der Begriff für den Prozeß, während dessen die deutschen Bewohner nach Kriegsende 1945 die damalige Tschechoslowakei verlassen mußten. „Es handelt sich um einen rechtlichen Begriff, der in seiner deutschen Übersetzung unerwünschte Assoziationen erwecken könnte, was wiederum unsere Öffentlichkeit beunruhigen könnte“, präzisierte Havel den Begriff am Sonntag. Überrascht über den Ausgang des Treffens zeigte sich das tschechische Außenministerium, das mittels seines Chefs Zielenic zuvor verkündet hatte, der Text besagter Versöhnungsdeklaration sei fertig. Man könne die Vorbehalte nicht verstehen, da jeder Schritt mit den führenden Politikern abgestimmt worden sei, war aus dem Cernin-Palast zu hören.

Was also war geschehen? Wirft der Wahlkampf für die Mitte November stattfindenden Senatswahlen bereits seine Schatten voraus? Oder markiert der Streit die zunehmende Auseinandersetzung zwischen der Minderheitsregierung Klaus und dem von der Opposition beherrschten Parlament?

„Es ist einfach, sich mit Hilfe eines Textes, den die Öffentlichkeit nicht kennt, zu profilieren“, stellte die konservative Tageszeitung Telegraaf an die Adresse des Sozialdemokraten Zeman fest. Dieser hatte nicht nur Unzufriedenheit mit dem Text an sich geäußert, sondern auch mit der gesamten Prozedur: Das Parlament sollte über die Deklaration beraten und das Recht haben, Änderungen vorzunehmen. „Die, die der Meinung sind, daß das Parlament nur ja oder nein sagen soll, kennen die gesetzgebende Prozedur in diesem Land nicht“, erklärte Zeman.

Vermutet wird hinter dieser Forderung die Bemühung der Sozialdemokraten, die Rolle des Parlaments aufzuwerten. Diese Bestrebungen kamen bereits in der ersten Sitzung nach der Sommerpause in der vergangenen Woche zum Ausdruck. Die Spannungen zwischen den nach der Mitbestimmung rufenden Sozialdemokraten und der auf ihre Unterstützung angewiesenen Koalition wachsen, für das Kräftemessen scheint jeder Anlaß willkommen.

Zweifellos: In der Frage der Deklaration sind die Sozialdemokraten in der Zwickmühle. Falls die endgültige Version einen zu großen Kompromiß darstellt, riskiert Zeman den Verlust von Stimmen im radikalen Lager. Sollten die Sozialdemokraten die Deklaration ablehnen, verärgern sie ihre „konstruktiven“ Wähler. Es wird vermutet, daß Oskar Lafontaine bei seinem Besuch in der vergangenen Woche nicht nur den Deklarationstext in seinem Gepäck hatte, sondern auch eine entsprechende Instruktion für die tschechischen Genossen.

Zeman versicherte bereits, daß im besagten Text keine Forderungen der Sudetendeutschen, wie die nach Doppelstaatsbürgerschaft, Niederlassungsrecht oder Entschädigung enthalten seien. „Es ist nötig, das Bedauern über die Exzesse, zu denen es während des Abschubs gekommen ist, von dem Ausdruck des Bedauerns über den Prozeß als solchen zu trennen“, sagte Zeman.

Offensichtlich um Schadensbegrenzung sind Präsident Havel und das Außenministerium bemüht. Standhaft erklärt man, daß die Kontroversen rein technischen Charakters gewesen und das Treffen sogar ein Durchbruch gewesen sei. Denn erstmals hätten die Vorsitzenden der vier wichtigsten Parteien ihr prinzipielles Ja zur Deklaration geäußert. Zudem sei mit dem Treffen vermieden worden, daß die Deklaration ein zur Konfrontation einladendes Wahlkampfthema für die Senatswahlen wird, erklärte Havel am Sonntag voller Optimismus. Ob dieser berechtigt ist, bleibt allerdings abzuwarten. Katrin Bock