■ Kompromiß beim Kindergeld und der Vermögenssteuer
: SPD-Vorsprung nach Punkten

Mit Beginn des kommenden Jahres wird es 20 Mark mehr Kindergeld geben. Bemessen an dem, was Erziehung erfordert, und vor allem an dem Stellenwert, der ihr in der Programmatik der Parteien eingeräumt wird, ist das eine denkbar geringe Summe. Doch in Zeiten kürzer werdender Kalküle und knapper werdender Kassen verengt sich der Blickwinkel nur allzu schnell vom Erforderlichen zu den Erfordernissen einer auf parteiübergreifenden Konsens angelegten Kompromißfindung. Trägt man dem Rechnung, bemißt man also den Betrag an den Kräfteverhältnissen bei den Verhandlungsrunden zum Jahressteuergesetz, ist es ein Erfolg der SPD. Und betrachtet man ihn im Lichte der abweichenden Begehrlichkeiten, die einzelne SPD-Ministerpräsidenten vor den Verhandlungsrunden geäußert haben, so ist es beileibe keine sozialdemokratische Selbstverständlichkeit, sondern eine Leistung des Vorsitzenden Lafontaine, daß die Reihen geschlossen blieben. Die Geschlossenheit fiel insofern leicht, als die SPD sich im Einklang mit der bestehenden Rechtslage bewegte.

Dies ist auf der anderen Seite der Grund, weshalb die Koalition die Streichung der Vermögenssteuer für sich als Erfolg verbuchen kann: Passiert nichts, sorgt das Limit des Bundesverfassungsgerichts für eine Entscheidung. Insofern wurde am Montag abend kein Verhandlungsergebnis erreicht, sondern beide Seiten mußten in wesentlichen Teilbereichen nur das absehbare Scheitern ihrer jeweiligen Strategie einräumen. Damit hat man allerdings den Druck auf die kommenden Gespräche erhöht. Denn bei den Beratungen der übrigen Reformen muß nun eine Kompensation der finanziellen Belastungen gefunden werden, die das Kindergeld und der Wegfall der Vermögenssteuer mit sich bringen.

Diese Notwendigkeit bekommen vor allem die Länder zu spüren. Auf die neuen unter ihnen wird sich der Einigungsdruck noch dadurch erhöhen, daß der Bundesfinanzminister mit den Zuwendungen für Arbeitsförderungsmaßnahmen einen zusätzlichen Hebel in der Hand hat, sie zu knebeln. Zudem ist die Einführung der Gewerbekapitalsteuer alles andere als eine Aufbauhilfe für ihre kränkelnde Unternehmerschaft. Unter diesen erschwerten Bedingungen muß die SPD nun definieren, was sie als Erfolg in diesem Verteilkonflikt bewertet. Sie hat folglich noch einiges zu tun, um ihren Punktvorsprung über die Runden zu retten. Dieter Rulff