Früher Scholl-Latour

■ Mit der neuen Ausstellung im Focke-Museum ist neben den Afrika-Forscher Gerhard Rohlfs der Archäologe Rohlfs getreten

oppelt hält besser - und das gilt sogar für Ausgrabungen der Klassischen Archäologie. Denn häufig genug gehen selbst kostbare Fundstücke nach ihrer Bergung verloren und landen in Magazinen, auf Dachböden oder in Kellern. So geschah es, daß im Jahr 1994 in Bremen-Nord antike Vasen aus der Sammlung des vor genau 100 Jahren verstorbenen Gerhard Rohlfs entdeckt wurden. Die Hauptrolle dabei spielte Dr. Birgit Scholz. Sie ist Kuratorin der Ausstellung „Gerhard Rohlfs und die Antike“, die seit gestern im Focke-Museum zu sehen ist und neben den Vasen sowie den um 1870 entstandenen fotographischen Dokumenten von Ausgrabungsstätten in Nordafrika ein völlig neues Bild vom berühmten Sohn der Stadt zeigt: Der nur als Ethnologe bekannte Gerhard Rohlfs entpuppt sich plötzlich als Archäologe und als ein „Peter Scholl-Latour des 19. Jahrhunderts“, wie Birgit Scholz mit einem ironischen Grinsen zum hinkenden Vergleich sagt.

Es war 1994 im Herbst. Da erhielt die Klassische Archäologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Bremen einen Brief. Ein Herr Gnettner, der Leiter des Heimatmuseums Schloß Schönebeck, schrieb, es gäbe da so ein paar antike Vasen in seinen Räumen, verstaubt, aber vielleicht ganz interessant. Birgit Scholz erinnert sich noch genau: „Es war unglaublich. 98 Stücke lagen da. Neben 79 griechischen Vasen auch zwei Terrakotten, 15 antike Lampen und sogar ägyptische Funde – alle von Rohlfs gesammelt und seit seinem Tode vergessen.“

Für die Archäologin war bald klar, solch einen Fund macht man nur einmal. Denn die Stücke, die eindeutig dem Nachlaß des Bremer Weltreisenden Gerhard Rolfs zugeschrieben werden konnten, veränderten die Forschungslage grundlegend. Bislang galt Rolfs bloß als einer von vielen Afrika-Forschern, die sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Norden des Kontinents herumgetrieben hatten. Mit den von ihm gesammelten Objekten hatte man nicht nur ein paar Dinge in der Hand, die für eine Ausstellung taugten, es ließ sich ein Faden zurückspulen, der Aufschluß über die Motivation des verlorenen Sohnes aus gutem Hause gab.

Mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Funde erscheint auch Rohlfs Biographie in einem anderen Licht. 1831 in eine der wohlhabenden Bremer Familien geboren, lernt schon der Vorschüler Gerhard Rohlfs die klassischen Sprachen Latein und Griechisch. Doch in der folgenden Schulzeit am Gymnasium in Osnabrück zeigt sich, daß er große Schwierigkeiten hat, sich mit den autoritären Strukturen der Lehranstalt zu arrangieren. Dies ein Freiheitsstreben, das später im Lebenslauf Spuren hinterlassen soll.

Rohlfs bricht die Schule ab und wird Soldat. Aber bald wechselt er wieder ins zivile Leben und studiert in Würzburg bei Rudolf Virchow Medizin. Die nächsten Stationen: Erneut Militärdienst, dann Desertion, dann Anmusterung bei den Fremdenlegionären und in diesem Zusammenhang Beteiligung an der Eroberung Algeriens durch die Franzosen. So beginnt er seine Reise durch Afrika, die er bald in eigener Regie fortsetzt. Auch wenn Rohlfs in den folgenden Jahren wieder und wieder mit großen Unsicherheiten zu kämpfen hat, gelingt es ihm letztendlich doch, seine eigenen Entdeckungsreisen zu finanzieren.

„Afrika, das war damals der Ort, der alle interessierte“, erklärt Birgit Scholz aus heutiger Sicht. Rohlfs, der sich mehr und mehr etablieren konnte, habe die Gunst der Stunde genutzt und ausführliche Vortragsreisen in der Wintersaison, bei denen er viele Gelehrte Deutschlands kennenlernte, mit den Forschungsreisen im Norden des afrikanischen Kontinents kombiniert. Doch daß Rohlfs sich auch für die antiken Stätten vor Ort interessierte, war bislang nicht bekannt.

Erst durch den Fund in Schönebeck hat man Gewißheit darüber, daß er als erster die damals neue Technik der Fotographie verwendete, um Ausgrabungsorte zu dokumentieren. Darüber hinaus betätigte er sich mit wissenschaftlicher Systematik auf dem Gebiet der klassischen Archäologie. War das mehr als ein Spleen? Dr. Birgit Scholz weiß eine Erklärung: „Damals herrschte noch immer dringender Ideologiebedarf.“ Denn noch immer suchten Intellektuelle bürgerlicher Herkunft nach Alternativen zum christlich-religiösen Weltbild der Feudalgesellschaft. Und Gerhard Rohlfs nahm daran teil. Wie Heinrich Schliemann setzte Rohlfs fort, was Schiller oder Goethe mit ihrem Interesse an der klassischen Antike begonnen hatten. „Rohlfs stellt sich damit in die aufklärerische Tradition“, resümiert die Forscherin.

Doch auch außerhalb der europäischen Geistesgeschichte steht Rohlfs Schaffen in einem neuen Licht. Seine Notizen haben plötzlich großen Wert als Quellen zur Geschichte Nordafrikas. Scholz hat sogar schon Anfragen aus Kairo erhalten. Dort interessiert man sich vor allem für die 1869 entstandenen Fotos von Ausgrabungsorten, die nur hier dokumentiert sind.

Susanne Raubold

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