Diskriminierend: Stütze aus Maschine Geldautomaten im Sozamt

■ Sozialhilfe aus dem Automaten: Banken grenzen Sozialhilfeempfänger aus (s. „Nachgefragt“ S. 22) auch „Nachgefragt“ S.22)

„Stütze“ aus dem Geldautomaten – eine tolle Sache? „Nicht wenn der Apparat im Sozialamt steht“, schimpft Thomas Beninde von der Aktionsgemeinschaft Arbeitsloser BürgerInnen (AGAB). Doch genau darum dreht sich ein Antrag, der heute in der Sitzung der Deputation für Soziales und Jugend auf der Tagesordnung steht. Versuchskaninchen soll das Sozialamt Mitte-West sein. Voraussichtliche Kosten des Pilotprojekts: 400.000 Mark.

Das Ansinnen ist aus der Not geboren. Bis 1992 lief die Auszahlung der Sozialhilfe per Scheck-System – in Absprache mit der Sparkasse. Die hat jedoch vor vier Jahren das Abkommen gekündigt. Zur Zeit ist die Auszahlung in den Schalterhallen des Geldinstituts nur geduldet. Die Banker drängen auf eine Ausweichlösung. Darum will die Sparkasse auch 100.000 Mark in das Projekt investieren. Dann steht demnächst im Volkshaus Mitte-West ein Geldautomat. Die SozialhilfeempfängerInnen erhalten eine Chipkarte und können damit ihre Stütze abheben.

Warum kündigte die Sparkasse? „Wir haben die Auszahlung per Scheck Anfang der 70er Jahre übernommen“, sagt Hans-Joachim Genzmer von der Sparkasse. „Ende der 80er hatte sich aber die Anzahl der Sozialhilfeempfänger verzwanzigfacht.“ Dies sei für die Sparkasse nicht mehr zu leisten. Zumal die Banken inzwischen Basiskonten anböten. Ohne Überziehungsmöglichkeit.

Kritiker schätzen allerdings, daß ungefähr 15 Prozent der Sozialhilfeempfänger gar kein Konto kriegen. Das liegt an besagten Bankrichtlinien. Dort heißt es: „Das Kreditinstitut ist nicht verpflichtet, ein Girokonto für den Antragsteller zu führen, wenn dies unzumutbar ist.“ Etwa „wenn nicht sicher ist, daß das Institut die für die Kontoführung...üblichen Entgelte erhält“. „Und das läßt sich bei manchen Sozialhilfeempfängern auch nicht immer ausschließen“, sagt Genzmer.

Wolfgang Völker vom Arbeitslosenprogramm der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK): „Diese Gummiverordnung dient nur dazu, unerwünschte Kunden auszugrenzen. Diskriminierend.“ Statt Geldautomaten solle das Land Bremen eine Gesetzesinitiative starten, um ein Recht auf ein Girokonto zu erreichen. Das sei billiger als das Pilotprojekt. Wolle man dies flächendeckend in Bremen umsetzen, entstünden Kosten von 5,5 Millionen Mark.

Im Sozialamt Mitte-West dagegen sieht man den Fall anders. Walter Hartung, stellvertretender Amtsleiter: „Wir müssen uns den Tatsachen stellen. Es gibt nun mal Sozialhilfeempfänger, die kein Konto kriegen. Die müssen aber irgendwie an ihr Geld kommen.“ Darum habe man sich nach Auswegmöglichkeiten umgesehen. Das Verfahren per Geldautomat sei dabei das schnellste. „Es ist zwar in der Anschaffung teuer. Aber auf die Dauer sehr rentabel.“

Der erste Automat verschlingt fast eine halbe Million Mark. Aber: Weitere schlagen nur noch mit etwa 100.000 Mark zu Buche. „Darum kann man nicht von 5,5 Millionen Mark Gesamtkosten ausgehen“, dementiert Rudolf Joachim, persönlicher Referent von Sozialsenatorin Tine Wischer. Zudem bezweifelt er, daß man Banken per Gesetz dazu zwingen kann, jedem ein Girokonto einzurichten. Fazit Thomas Beninde: „Solche Experimente passen eben zum Zeitgeist: Geh mir aus den Augen, kleiner Looser.“

Jens Tittmann