"Schönheit? Und was noch?"

■ Corinna Harfouch ist ein Star. Sie kann sich ihre Rollen aussuchen, und obwohl sie findet, daß Theater sich oft nicht lohnt, steht sie immer wieder auf der Bühne. Zum Beispiel bei Frank Castorf. Ein Porträt

Theater kostet Kraft. Wenn Corinna Harfouch über ihre Arbeit als Schauspielerin redet, dann benutzt sie Wörter wie „Stärke“, „Durchbeißen“ oder „Anstrengung“, sie spricht von den „Grenzen“, die für Momente auf der Bühne gesprengt werden können. An diesem Freitag hat der Gewaltakt Theater sie gründlich fertiggemacht. Die Schauspielerin sitzt in der Kantine der Volksbühne und ist müde und genervt. Lust, sich über ihre Arbeit zu unterhalten, hat sie eigentlich nicht: „Über diese Prozesse zu reden, die hinter einer Theaterinszenierung stecken. Was soll das schon bringen? Das ist doch langweilig.“

Bis zur Premiere von Zuckmayers „Des Teufels General“ an der Volksbühne ist es noch eine knappe Woche, und Corinna Harfouch ist unzufrieden mit sich selbst. Die Probe am Vormittag, sagt sie, sei eine Katastrophe gewesen. Sie faltet aus einem Zettel ein Papierflugzeug und versucht es ihrem Regisseur Frank Castorf, der mit einigen anderen Schauspielern am Nebentisch sitzt, an den Kopf zu werfen. Sie trifft nicht und ärgert sich noch einmal.

Also zunächst Stille. Und ein erster Eindruck: Corinna Harfouch hat nichts von der Kühle und der Ironie der Frauen, die sie so oft spielt. Auf ihrem Stuhl macht sie sich ganz klein. Dabei ist es gerade das Kindliche, mit dem sie während der Proben an der Volksbühne zu kämpfen hat. Bei Kaffee und Marlboro lights erzählt sie von der Arbeit mit Castorf: „Wenn du bei Frank nicht die Naivität eines Kindes hast, nicht die Bösartigkeit eines Kindes, dann ist es aus.“

1994 hat sie schon einmal an der Volksbühne gespielt. In Ibsens „Frau vom Meer“ spielte sie die Ellida. Jetzt, nach zwei Jahren, wollte Corinna Harfouch noch einmal mit Frank Castorf zusammenarbeiten: „Ich hatte das Gefühl, irgend etwas noch nicht verstanden zu haben.“ Der komplizierte Aufbau ihrer Figur – im ersten Akt des Stückes spielt sie den General, im zweiten Akt dann eine Frauenrolle – macht es nicht leichter: „Ich bemühe mich, meinen Kopf da rauszuhalten. Frank geht halt sehr über den Körper, über das Existentielle. Ich finde diesen Weg sehr interessant, aber er kann einen eben auch verzweifeln lassen.“

Corinna Harfouch kann es nicht leiden, sich unterzuordnen, Nebenrollen anzunehmen, auf der Bühne Dienst nach Vorschrift zu machen. Nach der Wende, nach acht Jahren Arbeit am Berliner Ensemble und einem kurzen Intermezzo am Deutschen Theater, hat sie deswegen beschlossen, kein festes Engagement mehr anzunehmen. Corinna Harfouch ist ein Star und kann es sich leisten, wählerisch zu sein. Denn oft lohnt sich die Kraftprobe Theater nicht, findet sie. Trotzdem bleibt sie dabei und sieht die Schauspielerei als masochistische Leidenschaft: „Hier an der Volksbühne ordne ich mich gerne unter.“

Bei der Auswahl ihrer Rollen sind Inhalte für Corinna Harfouch zweitrangig. Sie sucht statt dessen nach Formen: Wild und chaotisch bei Castorf, oder, Anfang vergangenen Jahres, ganz streng und tragisch in Ibsens „Eyolf“ am Berliner Ensemble. Auch der vergeistigte Stil von Altregisseur Fritz Marquardt dort hat ihr prinzipiell gefallen, aber: „Manchmal ist einem bei den Proben einfach der Kopf geplatzt.“ Also wechselt sie ab. Nach der Arbeit an der Volksbühne wird sie wieder für einige Zeit ans Berliner Ensemble gehen und mit Stephan Suschke eine Uraufführung vorbereiten: „Eva – Hitlers Geliebte“. Gerne redet sie nicht über das Berliner Ensemble, vielleicht gerade weil sie so lange dort gearbeitet hat: „Das Haus ist so kompliziert. Ich wünschte mir, die würden sich dort von diesem Weltruhmanspruch trennen und das Theater einmal als einen ganz neutralen Raum verstehen.“

Corinna Harfouch hat ein hehres Ziel, das sie bei ihrem Wechsel von Bühne zu Bühne, von Regisseur zu Regisseur verfolgt: Wahrheit. Zumindest im Theater. Vor der Kamera kann sie entspannter arbeiten: „Es gibt durchaus Situationen, in denen ich denke: Jetzt muß ich unbedingt Geld verdienen. Da nehme ich dann drei, vier Drehtage an – und gehe mit einer ganz bestimmten humorigen Kälte an die Arbeit. Das ist auch mal ganz gut.“

In Film- und Fernsehproduktionen ruht sie sich vom Maso-Betrieb Theater aus. Corinna Harfouch hat zu DDR-Zeiten mit den Regisseuren Roland Gräf und ihrem Mann Michael Gwisdek gedreht, nach der Wende dann in der ZDF-Erfolgsserie „Unser Lehrer Doktor Specht“ gespielt und gelitten. Eine Serie will sie nicht wieder machen: „Wenn man dreizehn Folgen quer durcheinander dreht, spielt man sich einfach auf ein bestimmtes Mittelmaß ein, das immer paßt. Das ist wie ein Sog, der mich dann herunterreißt. Andere Schauspieler können damit besser umgehen.“

Sie hat in Margarethe von Trottas Mauer-Flop „Das Versprechen“ gespielt – ein Film, den die Ostberlinerin im nachhinein wegen des düsteren DDR-Bildes, das dort gezeichnet wurde, kräftig kritisiert hat. Mit den Nebenwirkungen kämpft sie bis heute: Ihre Rolle hat sie in den Ruf einer Promi-Verkünderin der Ost-Identität gebracht, in Berichten über sie war zu lesen, daß sie „immer noch“ in Pankow wohne, Ost-Produkte kaufe und nur an Ost-Theatern spiele. Inzwischen geht ihr das ziemlich auf den Geist: „In solche Positionen wird man von den Journalisten doch hineingefragt.“ Keine weiteren Fragen.

Im Kino ist Corinna Harfouch zur Zeit in „Sexy Sadie“ zu sehen, einer makaberen Low-budget-Komödie, in der sie an der Seite von Jürgen Vogel eine unterkühlte Gefängnis-Ärztin spielt. Die Arbeit hat ihr Spaß gemacht: „Wenn ich auf einen schwachen Regisseur treffe, fühle ich mich bemüßigt, ganz viel einzugreifen. Dann bin ich schlecht. Mit Matthias Glasner Sexy Sadie zu drehen, war angenehm: Da durfte ich einfach nur sein. Das hat ihm genügt.“

Corinna Harfouch ist eine schöne Frau. Seit sie schauspielert, kann sie sich vor Entzückungsschreien der Presse nicht retten. Bereits 1983 bescheinigte die junge Welt der damals 27jährigen Schauspielerin in sozialistischem Zeitungspathos „Jugend, Schönheit, weibliches Talent“. In stilistischen Abänderungen findet sich diese Begeisterungstirade bis heute immer wieder in Porträts und Rezensionen. Sie selbst ärgert sich über das oberflächliche Lob: „Ich finde das demütigend... Schön? Na, und was noch?“

Trotzdem ist sie eitel. Auch wenn sie sagt, daß sie sich mit ihrer Wirkung auf der Leinwand noch nie so richtig beschäftigt hat – Corinna Harfouch überprüft die Ergebnisse ihrer Arbeit sehr genau. Die Untugend wird zum Lernprogramm: „Ich stehe natürlich nicht Tag für Tag vor dem Spiegel. Meine Eitelkeit ist viel subtiler, nach innen gerichtet: Die Eitelkeit, nicht eitel sein zu wollen, häßlich sein zu wollen, bescheiden sein zu wollen.“ Kolja Mensing

Die Premiere von Zuckmayers „Des Teufels General“ in der Regie von Frank Castorf findet heute abend, 19.30 Uhr in der Volksbühne statt.