Wer keinen Hut trägt, ist tot

Film Noir mit blankgeputzten Schuhen und stargespickt, ganz wie früher: „Nach eigenen Regeln – Mudholland Falls“ von dem neuseeländischen Regisseur Lee Tamahori  ■ Von Thomas Winkler

1955: „Kiss Me Deadly“. 1974: „Chinatown“. Nun: „Mudholland Falls – Nach eigenen Regeln“. Von vor 40 Jahren hat sich dieses stargespickte Prachtstück die Sache mit der Atombombe geklaut. Von „Chinatown“ den Ausstatter Richard Sylbert. Kein Wunder, daß er in „Mudholland Falls“ eine Welt wiederauferstehen läßt, die genauso aussieht wie im Klassiker von Polanski. Eine Welt aus Krawattennadeln, Manschettenknöpfen, blankpolierten Schuhen und blaßblauen Seidenpyjamas, eine Welt, in der selbst Generäle das Bett der Geliebten mit Blumen bestreuen.

Der Neuseeländer Lee Tamahori hat mit seinem ersten amerikanischen und insgesamt überhaupt erst zweiten Film versucht, wiederzubeleben, was in Hollywood längst verschüttgegangen ist: einen Film, der sich auf ein einziges Genre beschränkt, mit sanften Schnitten, ruhigen Bildern, eher Fausthieben statt großer Geschütze, und das Geräusch brechender Knochen ist wichtiger als große rote Löcher. Ähnlich wie in „Chinatown“ und den Romanen von Chandler wird hier versucht, eine Parallele zwischen den persönlichen Gefühlsverquickungen und dem großen, auch politischen Zusammenhang zu ziehen. Der kleine Mann leidet, an der Liebe und am Zipperlein, aber angesichts der Bombe, der großen, und der Politik, der fiesen, ist er dann doch ein Nichts. Und weil der verzweifelte Fausthieb dann doch nichts bringt, bleibt nur der Rückzug ins Private, also Zynismus, Whiskey und den Schoß der Ehefrau, wo man den Rausch ausschlafen kann.

Es gibt wie in einigen Schwarze- Serie-Klassikern sogar den obligatorischen schwächlichen Schwulen hier, der irgendwie im Zentrum des Geschehens steht, aber natürlich dran glauben muß, bevor er alles ausplaudern kann. Und für den Part des sinistren, lungenstückchenspuckenden Drahtziehers stand John Malkovich zu Verfügung.

Aber dann kommt Nick Nolte und trampelt den schmucken 50er- Jahre-Porzellanladen kaputt. Er haut mit seinen Bullenkumpels Gangstern die Lippen blutig, und dann schmeißt er sie von Klippen. Seine Geliebte fällt vom Himmel und ist ziemlich geplättet, in der Folge bricht er seiner treudoofen und überaus blonden Gattin das Herz. Dabei sieht Nolte, der ehemalige Footballspieler, aber leider inzwischen nicht mehr wie ein stahlharter Cop aus, sondern wie ein netter Großvater mit runden Hüften. Da kann er noch soviel ketterauchen, herumnuscheln, knorrig tun und sich durchs schüttere Haar fahren.

Neben dem polternden Nolte bleiben die anderen Rollen zwangsläufig blaß, was allzuoft aber auch an den öden Dialogen liegt. So muß sich Chris Penn meist damit begnügen, den Rauch dicker Zigarren durch die Gegend zu pusten. Einzig Chazz Palminteri darf als Polizeikollege den Klassenclown geben. Der Rest trägt Hüte. Wer keine Hüte trägt, ist entweder eine Frau oder tot.

Mit „Die letzte Kriegerin“ hatte Lee Tamahori einen Film gemacht über verlorene Wurzeln, über existentielle Gewalt, über das Leben, vielleicht sogar das echte. „,Mudholland Falls‘ ist völlig anders“, hat der Regisseur gesagt, „es ist ein amerikanischer Genrefilm.“ Damit hat er ohne Zweifel recht. Ob ihm der Wechsel wirklich gelungen ist, ist eine ganz andere Frage. Nicht nur die Rückblenden schwelgen in satten Brauntönen, der ganze Film ist überzogen mit einer Patina, daß die Streicher freudig erregt jodeln: Früher war alles besser. Da wurde Jack Daniels noch direkt aus Einliterpullen in rauhe Kehlen geschüttet. Und Palminteri klopft zärtlich den Staub von Noltes Hut.

„Nach eigenen Regeln – Mudholland Falls“. Regie: Lee Tamahori. Mit Nick Nolte, Melanie Griffith, Chazz Palminteri u.a. USA 1996, 106 Min.