Probieren und Philosophieren

■ Catherine David erzählte zum wiederholten Male, was auf der nächsten, von ihr geleiteten documenta alles nicht sein wird

Wenn eine Französin auf Englisch die Semestereröffnung an der Hochschule für bildende Künste hält, muß es schon eine besondere Person sein, damit man bereit ist, ihren weitschweifigen und schwerverständlichen Ausführungen zu folgen. Bei Catherine David, der Direktorin der documenta X ist das Interesse besonders groß, und so kam es, daß zwischen den einzig eingeladenen Studenten am Mittwoch so manche Galeristinnen und Presseleute in der Aula der Hochschule saßen. Denn diese Frau schafft es immer wieder, große Auditorien anzuziehen, die ihr ergriffen lauschen, wenn sie nichts zu sagen hat – letzteres keine chauvinistische Einschätzung, sondern ausdrücklich selbst so formuliert.

Gewiß ist auch dies nur ein kreatives Paradox, das auch bei der Semestereröffnung wieder funktionierte, doch selten wurde so gut formuliert, was 1997 alles NICHT mehr zu machen sei. So wurde betont, die documenta X sei keine Olympiade und Skulptur und Malerei allein seien keine hinreichenden Arbeitsfelder für die aktuelle Kunstpraxis mehr.

Literatur und Film sollen das Feld erweitern, ein Begleitprogramm „100 Tage – 100 Gäste“ wird auch Philosophen zu Wort kommen lassen. Die Frage nach der Quote der „Dritten Welt“ konterte Catherine David mit dem Begriff „Kataplasma“ (Breiumschlag), was meint, daß es nötig sei, zu differenzieren: zwischen neokolonialer Anbindung an euroamerikanische Kriterien, Dritter-Welt-Kunst in den Metropolen London, Paris und New York und traditioneller Kunst in den jeweiligen Ländern.

Als besonders wichtig stellte Catherine David den Begriff des Territoriums heraus. In Opposition zu den Agglomerationen von Menschen in den Megastädten und dem freien Fluß riesiger Kapitalmengen erlangt das überschaubere Gebiet neue Bedeutung. Und natürlich geht es weniger um Kunstobjekte, sondern um die von ihnen bezeichneten Relationen. Dabei muß nicht alles ganz neu sein, ein Großteil von kritischer Kunst der siebziger Jahre sei noch nicht hinreichend vom Publikum gewürdigt worden.

Informationen durch Galeristen, Bezug zur gastgebenden Stadt und ihren Eigenheiten mit einem Parcours voller kleiner Überraschungen, offene Werke als Manifestationen aktueller Befindlichkeiten: Letztlich ist alles das nicht so neu. Und da die hinter allen Wortwolken französischer Sprachkultur möglicherweise eher konservative Generaldirektorin ohnehin nicht allein wichtig für die Qualität der Produkte ist, sondern nur in der Öffentlichkeit dafür geradezustehen hat, wird die documenta X ganz gewiß interessant werden.

Probieren und philosophieren und trotzdem nicht verzweifeln: das könnte eine Lehre des Abends sein. Oder, wie Hochschul-Präsidentin Adrienne Goehler im Vorwort nach der Ankündigung einer Liste von Semester-Highlights allen Sparanfechtungen trotzend mit einem Zitat von Meret Oppenheim einforderte: „Arbeiten, nicht lamentieren!“

Hajo Schiff