Bockwurst und Fahrgeld

■ Eine Filmreihe über "Revolutionären Film in Deutschland 1918-33" im Kino Lichtblick spiegelt Klassenkämpfe, Wirtschaftskrise und Arbeiterleben

Die Zahl läßt träumen: Etwa eine Million Besucher strömten Ende der zwanziger Jahre täglich in deutsche Kinos, rund 800.000 davon waren Arbeiter und Angestellte. Siegfried Kracauer schrieb 1926 über den „Kult der Zerstreuung“ und 1928 über „Das Ornament der Masse“, Kurt Tucholsky 1927 über „Chaplin in Kopenhagen“. Es gehört zu den logischen Paradoxa der deutschen Geschichte, daß progressive bis linksgerichtete Essayisten und Filmemacher in Deutschland kurze Zeit vor Ausrufung des Hitler-Staates am produktivsten waren.

Zwischen 1929 und 1933 entstanden stilistisch so unterschiedliche Werke wie Georg Wilhelm Pabsts „Westfront 1918“, Hans Tintners „Cyankali“, Leontine Sagans „Mädchen in Uniform“ oder Piel Jutzis Arbeiterfilm „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“ – Filme, die nicht zu trennen sind von den heftigen Klassenkämpfen dieser Zeit, von Krieg, Inflation, Remilitarisierung, Weltwirtschaftskrise und aufziehendem Faschismus. Eine Themenreihe im Lichtblick- Kino in Mitte stellt derzeit einige dieser Filme vor. Von 1931 bis 1932 drehte Slatan Dudow zusammen mit Ernst Ottwalt und Bertolt Brecht den berühmtesten proletarisch-revolutionären Film „Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt“. „Kuhle Wampe“ – das war der Name einer Laubenkolonie für Arbeiter am Rande der Stadt; Ernst Busch und Helene Weigel sangen die Balladen des Films.

Das größte deutsche Filmimperium blieb natürlich die Ufa, 1917 entstanden auf Betreiben des späteren NSDAP-Reichspräsidentenkandidaten Ludendorff. Alfred Hugenberg, Vorsitzender der Deutschnationalen, kaufte die tiefverschuldete Ufa 1927 für 35 Millionen Reichsmark auf. Die Ufa produzierte schon 1932 mit „Morgenrot“ einen Film über die Freuden stahlharter Männer im U- Boot-Krieg und ihren Eid auf den neu-deutschen Kurs. Den Arbeiterfilmern standen, abgesehen von Behinderungen durch die Gesetzgebung der Weimarer Republik oder die „Nazi-Filmzelle Berlin“, natürlich keine finanziellen Reserven zur Verfügung.

Slatan Dudow zum Beispiel hatte es schwer mit „Kuhle Wampe“. Die Produzenten der Prometheus-Film mußten wegen Geldschwierigkeiten aufgeben, neue Geldgeber waren schwer zu finden. Das tägliche Honorar für die Mitwirkenden bestand aus einer Bockwurst und dem Fahrgeld. Die Dreharbeiten zogen sich über ein Jahr hin, dann gab die Filmzensur „den kommunistischen Tendenzfilm“ einige Wochen nicht frei, weil ein junger Arbeitsloser darin aus Verzweiflung über seine aussichtslose Lage Selbstmord begeht, Räumungen von Wohnungen gezeigt werden und einige der viertausend am Film beteiligten Arbeitersportler in einer Szene nackt zu Kirchenglocken baden. 231 Meter Film fielen der Schere zum Opfer.

Die Satire „Seifenblasen“ drehte Slatan Dudow, geschützt durch seinen Ausländerstatus, illegal im faschistischen Deutschland. Die Namen Dudow und Jutzi („Todeszeche“) kennt man, die von Victor Trivas, Peter Heller oder Gerd Roscher weniger. „Niemandsland“ (1931) von Victor Trivas ist eine Kriegserklärung an den Krieg. Fünf Soldaten verschiedener Nationen treffen sich, durch nichts getrennt als Sprache und Uniformen, in einem zerschossenen Unterstand zwischen den Fronten. Warum stehen sie auf verschiedenen Seiten?

Ergänzt wird die Reihe durch drei Dokumentarfilme neueren Datums: „Aufstieg und Fall des Medienzaren Alfred Hugenberg“ (BRD 1982), „Panzerkreuzer Potemkin in Berlin“ (DDR) und „Wir machen unsere Filme selbst“ (BRD/England 1979/80). Dieser Film von Gerd Roscher montiert Ansätze politischer Filmarbeit, die auf Amateure aus der deutschen Arbeiterphotographenbewegung und der Film & Photo League in England zurückgehen. Arbeiter filmten den „Blutmai“ 1929 versteckt aus Dachluken und Autos. Anke Westphal

Folgende Filme laufen noch: „Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt?“ 18.10.; „Wir machen unsere Filme selbst“ 19.10.; „Brüder“ 19.–23.10.; „Aufstieg und Fall des Medienzaren Alfred Hugenberg“ (BRD 1982) 20.10; „Niemandsland“ 20./21.10.; „Die Todeszeche“ 22./23.10.; „Seifenblasen“ 22./23.10.; „Panzerkreuzer Potemkin in Berlin“ (DDR) 23.10.; im Lichtblick-Kino, Wolliner Straße 19, Tel. 4286271