Gewalt gegen Lesben wird unterschätzt

■ Lesbenprojekte wollen erstmals mit einem Fragebogen Gewalt gegen Lesben dokumentieren. Übergriffe werden bagatellisiert. Polizei soll sensibler reagieren

Blöde Anmache, Rempeleien, gewalttätige Angriffe – Lesben erleben häufig Übergriffe. Statistisch wird Gewalt gegen Lesben bislang jedoch nicht erfaßt. Das wird sich ändern: Vier Projekte – die Lesbenberatung, der Sonntags-Club und die Frauenzentren EWA und Frieda – haben gestern einen Fragebogen vorgestellt, mit dem sie ein Jahr lang eine Erhebung durchführen wollen. Auf diese Weise können Lesben ihre Erfahrungen anonym dokumentieren, auch wenn diese bereits länger zurückliegen. Ausgewertet wird der Fragebogen von den Projekten, die Ergebnisse werden sie dem Beauftragten der Polizei für gleichgeschlechtliche Lebensweisen, Jörg Riechers, zur Verfügung stellen.

Damit wollen die Lesben- und Frauenprojekte die Arbeit der Polizei nicht ersetzen, sondern zunächst eine statistische Grundlage schaffen. Denn vielfach wird bezweifelt, daß Lesben aufgrund ihrer sexuellen Orientierung zur Zielscheibe von Übergriffen werden. Wenn Lesben – was selten genug vorkommt – Anzeige erstatten, machen sie häufig die Erfahrung, daß die Delikte von Polizeibeamten bagatellisiert werden. Deshalb will Riechers mit den gewonnenen Daten auch seine Kollegen sensibilisieren. Wenn Lesben damit rechnen können, daß ihre Anzeigen ernst genommen werden, wird auch die Bereitschaft steigen, Übergriffe bei der Polizei zu melden.

Denn auch seitens der Lesben sind die Vorbehalte groß. Wie die Mitarbeiterinnen der Projekte festgestellt haben, müssen die Opfer meist ermutigt werden, solche Angriffe nicht zu verdrängen. Für viele gehören zumindest verbale Angriffe zum Alltag.

Während es für Schwule seit Jahren ein Überfalltelefon gibt, dessen Mitarbeiter die Opfer beraten, gibt es kein vergleichbares Angebot für Lesben. Daß der Homo- Beauftragte der Polizei, Jörg Riechers, als Ansprechpartner zur Verfügung steht, ist noch zuwenig bekannt. Erst seit er mit den Lesbenprojekten in regelmäßigem Kontakt steht, sind konkrete Fälle an ihn herangetragen worden. Zum Beispiel wendete sich eine Frau an ihn, deren Tochter von Jugendlichen aus der Nachbarschaft regelrecht terrorisiert wurde. Den Jugendlichen war aufgefallen, daß die Mutter mit ihrer Lebensgefährtin und der Tochter zusammenwohnte. Die Tochter wurde in einen Hauseingang eingesperrt und beschimpft. Über zwei Wochen spitzte sich die Situation zu, Steine flogen, es gab Drohanrufe: „Deine Mutter, diese lesbische Votze", zischten die Anrufer ins Telefon. Nicht immer ist der Fall so klar. Oft sind die Grenzen zwischen lesbenfeindlichen und frauenfeindlichen Angriffen fließend.

Von der Fragebogenaktion erhoffen sich die Projekte auch eine stärkere Sensibilisierung der Öffentlichkeit. Dies könne, wie die offen lesbische Polizeibeamtin Silke Hindahl erklärte, auch dazu beitragen, das Unrechtsbewußtsein der Täter zu schärfen.

Die Initiatorinnen wollen die Aktion mit Plakaten in der U-Bahn bekanntmachen. Das Plakat zeigt ein Frauenpaar, das aneinandergelehnt auf einer Parkbank sitzt. Vor ihnen baut sich ein Mann in bedrohlicher Pose auf. Um die Plakatierung finanzieren zu können, werden noch SponsorInnen gesucht. Sophie Neuberg

Kontakt: Lesbenberatung 2152000; Jörg Riechers 69934673